Ehrensachen
Schuhe trug. Sein Chevy-Kabrio hatte einen Platz in Mrs. McCartneys Garage nah am Harvard Square und wurde dort makellos sauber gehalten; eine seiner beiden langbeinigen Freundinnen war am Sarah Lawrence College, die andere am Vassar. Er teilte seine Zeit gleichmäßig zwischen ihnen auf, war abwechselnd mit der einen übers Wochenende in New York und mit der anderen in seinem Haus an der Narragansett Bay. Seine Gedichte waren gewunden und manchmal preziös, aber sie gefielen mir besser als alles andere, was in unserem Kurs verfaßt wurde, und ich mochte ihn. Ab und zu, wenn neben Merton ein Platz frei war, setzte ich mich an den Tisch der Parnaßbewohner. Auf diese Weise half ich Henry aus der Patsche; er mußte nicht entscheiden, ob sein Status in der Gruppe ihm erlaubte, mich einzuführen. Daauch Tom Peabody häufig, besonders mittags, an diesem Tisch aß, hätte ich, wenn das mein Wunsch gewesen wäre, ohnehin leicht Zugang zum Parnaß gehabt. Henrys offensichtliche Freundschaft mit diesen Männern, von denen er in seinem ersten Jahr keinen gekannt hatte, war mir ein Rätsel. Ich fragte, ob sie womöglich Freunde von Archie seien. Henry lachte und sagte: ganz sicher nicht. Dann erklärte er mir ziemlich lässig, es sei ganz einfach: Er habe sie attraktiv gefunden, attraktiver als alle anderen im Haus, und die günstige Gelegenheit genutzt, als Tom einmal an ihrem Tisch saß und noch ein Platz frei war. Dann sei eins zum anderen gekommen, und nun habe er den Eindruck, daß ein paar aus der Clique – er nannte Ralph Wilmerding und dessen Trabanten, Scott Allen – ganz gern bei seiner Inszenierung des Ubu mitwirken würden. Allein könne er es unmöglich schaffen. Ich war überrascht, aber nicht lange danach fand ich mich in Wilmerdings Wohnzimmer wieder, um an einer, wie Wilmerding sagte, organisatorischen Vorbesprechung für Henrys und sein Ubu- Projekt teilzunehmen.
Kurz vor diesem Treffen hatte Henry in allen Häusern Zettel mit der Einladung zum Probevorsprechen angeschlagen – eine Anzeige im Crimson war nach seiner Meinung herausgeworfenes Geld. Hier und da war ihm ein überlebensgroßer Student im zweiten Jahr mit Stentorstimme und einem Hang zum Dozieren aufgefallen, den er sich gut als Ubu vorstellen konnte, und er hatte Ideen für die Besetzung der beiden anderen männlichen Hauptrollen, Ubus Adjutanten Capitaine Bordure, Gargabage in Henrys Übersetzung, und Bougrelas, oder Buggerson in Henrys Version, den jüngsten Sohn des polnischen Königs. Wilmerding hatte noch nicht wissen lassen, ob ihm diese Entscheidungen recht waren, aber Henry sah keine möglichen Einwände und wollteauch seine Zeit nicht mit langen Diskussionen vergeuden. Wilmerding brauchte immer eine Ewigkeit, bis er sich zu einer Entscheidung aufraffte. Vielleicht war er unnatürlich bedachtsam. Noch unklar war, wer la mère Ubu spielen sollte, ein Monstrum, genauso fett und roh wie ihr Ehemann. Am Radcliffe gebe es genügend Mädchen, die dieser Beschreibung entsprachen, meinte Henry, aber da er nicht auf Schauspieler aus sei, die sich mit der Rolle identifizierten, überlege er, ob nicht ein schönes Mädchen mit schauspielerischer Begabung, wenn es Fettleibigkeit und Roheit darstellen konnte, obwohl es ganz anders aussah, viel wirkungsvoller wäre. Einen Versuch wäre es wert.
Margot zum Beispiel? fragte ich.
Wir waren auf dem Rückweg von der Widener-Bibliothek zum Haus. Henry blieb stehen und bückte sich, um die Schnürbänder seiner Tennisschuhe zuzubinden; er bat mich, zu warten. Als er sich wieder aufrichtete, sagte er, wie er mit Margot dran sei, wisse er nicht recht. Die Sache sei kompliziert. Vielleicht könnten wir bei einer Tasse Tee im Hayes-Bickford’s darüber reden. Wir setzten uns an einen Tisch hinten im Raum. Henry wollte sichergehen, daß niemand zuhörte. Er trank seinen Tee in großen Schlucken, sah mich nicht an und sagte, es sei sicher falsch, darüber zu reden, aber er werde es mir trotzdem erzählen, denn er müsse mit jemanden sprechen. Archie falle aus, also bleibe nur ich übrig. Jarry und König Ubu seien nicht seine einzigen einmaligen Erlebnisse in Bayencourt gewesen, es habe noch etwas viel Ernsteres, ganz Außergewöhnliches gegeben. Etwas zwischen Madame van Damme und ihm.
Hattest du Ärger? fragte ich. Ich hatte nicht den Eindruck, daß deine Abreise irgendwie überschattet war.
Er lachte und sagte, das sei nicht das Problem – oder vielleicht gebe es gar kein Problem, jedenfalls noch nicht.
Weitere Kostenlose Bücher