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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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schleunigst in den Schrank, zog Jacke und Krawatte aus und wartete. Die Zeit, bis sie kam, verging entweder sehr langsam oder sehr schnell, ich weiß es nicht; mir klopfte das Herz bis zum Hals, ich konnte es kaum aushalten. Dann ging die Tür auf. Sie trug einen langen Bademantel aus rotem Samt. Ihre Füße waren bloß. Ich stand auf und breitete die Arme aus. Sie auch, und sofort öffnete sich der Bademantel. Sie war nackt; sie sah Dürers Eva unglaublich ähnlich, nur war ihr Haar am Hinterkopf zu einem Knoten zusammengesteckt. Sie half mir beim Ausziehen, und wir legten uns aufs Bett. Sie sprach zuerst. Ist dies dein erstes Mal, fragte sie. Ich nickte. Ich wagte nicht, sie zu berühren. Wenn das so ist, sagte sie, leg dich einfach auf den Rücken und bleib ganz ruhig. Sie beugte sich über mich und löste ihr unglaublich üppiges Haar, das sich wie ein Zelt über ihre Schultern und über mich breitete. Als es vorbei war, sagte sie: Jetzt kannst du geduldig und zärtlich sein. Sie blieb bis zum Morgengrauen bei mir. Von da an kam sie jede Nacht, zweimal sogar, als Monsieur van Damme da war. Sie schlafen getrennt, und wenn er in sein Zimmer gegangen war, mußte sie nur zehn Minuten warten, dann wußte sie, daß er schlief. Ich kann kaum beschreiben, wie es war.
    Ich nickte. Um die Wahrheit zu sagen: Seine Geschichte hatte mich erschüttert.
    Zurück zu Margot, sagte er, weil du nach ihr fragtest, habe ich dir das Ganze überhaupt erzählt; du kannst dir vorstellen, wie beklommen mir beim Gedanken an sie und Etienne zumute ist. Nicht daß ich fürchte, sie wüßten es; das ist ausgeschlossen. Aber ich mache mir schreckliche Sorgen, so als ob ich unrecht an ihnen gehandelt, unsere Freundschaft verraten hätte.
    Und wie steht es mit deinen Gefühlen für sie, Madame van Damme? fragte ich.
    Madeleine? Es ist ganz absurd. Wenn ich nur ihren Namen sage, bin ich schon glücklich und dankbar, aber daß ich sie liebe, kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Sie liebt mich bestimmt nicht. Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich meinen, daß dies alles gar nicht passiert ist. Warum hat sie mich ausgesucht? Ist dir klar, daß sie vier oder fünf Jahre älter ist als meine Mutter? Sie hat mir ihr Alter nicht verraten, aber wenn ich bedenke, was sie im Krieg getan hat, bin ich mir ziemlich sicher, daß ich recht habe. Ende des Monats kommt sie nach Boston und wird in einem Hotel wohnen. Sie kommt allein, wegen eines Treffens der Wellesley-Alumnae. Stell dir vor: eine ganze Woche.

XVI
    Einige Zeit später erzählte mir Henry mit ernster Miene, daß Madeleine in Boston eingetroffen war. Mehrere Tage lang ließ er sich beim Abendessen im Speisesaal nicht sehen, und er kam auch nicht wie sonst bei mir vorbei.
    Ein häßlicher Zwischenfall mit Margot ereignete sich mehr oder weniger zur selben Zeit. Die Proben zu Ubu liefen, und immer wenn wir darüber sprachen, sagte Henry, er sei glücklich mit dem Ensemble, besonders mit dem bombastischen Studenten im dritten Jahr, der sich als Freund von Ralph Wilmerding entpuppte. Nach Henrys Meinung war er durchaus »ubuesk«. Das Interesse an der Inszenierung war groß, und die anderen Rollen waren zwar nicht leicht zu besetzen, aber er hatte viele Kandidaten zur Auswahl. Große Sorgen machte ihm Margots fester Entschluß, la mère Ubu zu spielen. Im Gedanken an unsere frühere Unterhaltung und meinen Vorschlag sagte ich, das sei phantastisch, ausnahmsweise habe Telepathie funktioniert.
    Ja, sagte Henry, zuerst habe ich auch gedacht, es sei eine wunderbare Idee, aber sie kann nicht laut genug sprechen, und man hört sie nicht. Die Akustik im Fogg ist miserabel, wegen der vielen Steinwände. Ich weiß nicht, ob Margot damit fertig wird.
    Vielleicht eine Woche später, nachdem er den Darsteller des Ubu dazu gebracht hatte, mit ihr an ihrer Atemtechnik zu arbeiten, berichtete er mir, sie hätten einen Probedurchgang im Fogg gemacht, nur zu dritt, und es sei nicht besser geworden. Im Rückblick meinte er, das wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, ihr taktvoll zu erklären, daß er ihre Rolle umbesetzen müsse, aber dazu hatte er sich nicht entschließen können; die Aussicht, ihr Regisseur zu sein, warzu verführerisch. Er ließ alles mehr oder weniger laufen, bis ihm während einer wichtigen Probe in Anwesenheit des gesamten Ensembles und des Tutors Bob Chapman, der ihm bei der Bühnentechnik half, vor den Augen von Wilmerding und Scott Allan plötzlich der Kragen platzte. Er stand da, wo

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