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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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Er habe auf etwas ganz anderes angespielt; er habe mitMadame van Damme geschlafen. Mit Madeleine, sagte er dann.
    Ich war dermaßen erstaunt, daß ich ihn aufforderte, er solle das noch mal sagen, und als er es wiederholt hatte, fragte ich, wie so etwas möglich sei. Es sei ganz einfach gewesen, fast beklemmend einfach, meinte er. Monsieur van Damme kam nur an den Wochenenden nach Bayencourt und auch das nicht immer, und Denis war früh abgereist. Die letzten drei Augustwochen verbrachte er mit Freunden in der Nähe von Biarritz. Während der Woche war im Château niemand außer den Kindern, den Dienstboten, Madeleine und ihm. Von Anfang an hatte er sich mit Ehemann und Ehefrau sehr gut verstanden. Daß sie ihn aufgefordert hatten, er solle sich in der Bibliothek ganz wie zu Hause fühlen, hatte er schon in seiner Erzählung von Denis van Damme erwähnt. Gewöhnlich ging er nach dem Abendessen dorthin. Er saß immer auf einem Sofa nahe an den Fenstern, die man geöffnet hatte, um die kühle Abendluft einzulassen. Wenn Madeleine in die Bibliothek kam, saß sie immer in einem der beiden schweren, mit einem Gobelin bedeckten Sessel am Kamin. Monsieur van Damme saß im anderen.
    Hier stockte Henry und holte sich noch eine Tasse Tee. Ich bat ihn, mir eine mitzubringen.
    Ich muß dir noch sagen, fuhr er fort, daß ich Madeleine von Anfang an sehr attraktiv fand – ganz objektiv, ohne mit dem Gedanken zu spielen, daß etwas zwischen uns sein könnte. Das wäre absurd gewesen. Sie ist groß, hat kräftige Knochen und wirkt athletisch, und sie hat einen unglaublich üppigen blonden Haarschopf, fast ohne Grau. Nur so, als ob hier und da etwas Farbe ausgeblichen wäre. Sie kann nicht älter als fünfzig sein, und ich habe keine Ahnung, ob sie älter oder jünger wirkt. Jedenfalls war ich an jenem Abend ganz in meinen Roman vertieft – ausgerechnet Le rouge et le noir – und achtete deshalb gar nicht auf sie, abersie setzte sich in die andere Ecke meines Sofas und fing an, mir eine ganze Reihe Fragen zu stellen, zuerst fragte sie nach dem College, dann nach Margot, die sie nicht wirklich verstehen könne, sagte sie, und dann nach dem Krieg. Sie wußte etwas von meiner Vergangenheit, aber nicht viel, oder vielleicht tat sie auch nur so, als wüßte sie nichts. Das machte mich nervös, wie du dir vorstellen kannst, und es fiel mir sehr schwer, auf ihre Fragen zu antworten, weil ich das Gefühl hatte, mit dem Rücken zur Wand zu stehen, es war schlimmer als bei dem Neujahrsessen der Standishs. Ich konnte nicht außer acht lassen, daß ich ihr Angestellter und in gewisser Weise auch ihr Gast war. Gleichzeitig fand ich ihr Interesse und Mitgefühl schmeichelhaft, vielleicht sogar aufregend, das kann ich nicht abstreiten. Also antwortete ich ihr, aber so lakonisch wie möglich. Darauf erzählte sie mir, daß ihre Eltern während des Krieges einer ganzen Anzahl Juden geholfen hatten, Verstecke zu finden. Das sei in Belgien nicht so schwer gewesen wie in Polen – meinte sie jedenfalls. Andererseits habe ihr Mann zwar absolut nichts gegen Juden, aber der Rest seiner Familie bestehe aus lauter flämischen Ultrarechten und Antisemiten. Das habe ihre Eltern während des Krieges in erhebliche Schwierigkeiten und Gefahren gebracht, und auch sie selbst, denn sie habe sich damals der Résistance angeschlossen – noch ein Horror für ihre Schwiegereltern. Gleich nach dem Krieg habe sich das Blatt gewendet, und nun hätten ihre Schwiegereltern mit verschiedenen Problemen zu kämpfen gehabt. Vielleicht war es die Art, wie sie diese Geschichte erzählte, vielleicht war die Luft plötzlich kälter, ich weiß es nicht, jedenfalls überlief mich ein Schauer. Sie merkte es und bat mich, die Fenster zu schließen, und als das erledigt war, wollte sie, daß ich mich neben sie setze. Als ich saß, nahm sie meine Hand, führte sie an ihr Gesicht und sagte: Willst du mich nicht fragen, ob ich mit dir ins Bett gehe?
    Zur Antwort, erzählte Henry weiter, legte ich einen Arm um sie und gab ihr einen Kuß. Ich war sehr ungeschickt, aber sie ließ es zu, dieses eine Mal. Dann schob sie mich sanft weg und sagte, mach hier das Licht aus und geh in dein Zimmer. Ich komme gleich. – Mein Zimmer in Bayencourt war etwas größer als dein Schlafzimmer hier, es hatte einen Schrank und eine Kommode für meine Kleider, einen Arbeitstisch am Fenster, einen Stuhl und einen Sessel. Ich stopfte Unterwäsche und Oberhemd, die ich auf dem Bett hatte liegenlassen,

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