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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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auf der Empfehlungsliste der Universität, beschloß ich, bei ihm zu bleiben. Mr. Hibble schien nichts dagegen zu haben, und der Gedanke, daß ich mir nur um seine Zustimmung Sorgen machen mußte, war eine Erleichterung.
    Im August wohnte ich bei Madame Shouvaloff, las französische Romane und hörte mir die Geschichten an, diesie auf französisch von ihrem verstorbenen Gatten erzählte; er war ein Star im Pagenkorps des Zaren gewesen und hatte im Zuge einer Truppenbewegung – eine Division der Weißen zog durch Sibirien – die Flucht aus Rußland ergriffen. Neue unwahrscheinliche Abenteuer führten ihn nach Harvard, wo er die Fechtmannschaft trainierte. Madame Shouvaloffs Familie war, wie sie mir sagte, nicht weniger vornehm als die des verstorbenen Fürsten. Sie war eine Karugin. Ich wäre vielleicht ganz gern ihr Untermieter geblieben, aber der listenreiche Tom Peabody sorgte dafür, daß ich wieder in meine Wohnung im Erdgeschoß einziehen konnte. Während meiner Abwesenheit hatte er Gastdozenten, die dem Haus verbunden waren, darin untergebracht. Diese beiden Zimmer für mich allein waren mehr wert als russische Reminiszenzen und mit Himbeermarmelade gesüßter russischer Tee aus Gläsern.

XV
    Es ist Zeit, daß ich Henry wieder auftreten lasse.
    Tom Peabodys Versprechen – zum Schluß verstand ich es in diesem Sinn – wurde erfüllt; im Herbst ihres dritten College-Jahrs konnten Henry und Archie in das Haus einziehen. Ich war in meinem alten Quartier, für mich war es das zweite Studienjahr, und ich stellte mich wieder auf das Leben am College ein. Bald war die alte Vertrautheit zwischen Henry und mir wieder da. Wir sahen uns bei den Mahlzeiten und oft auch abends in meinem Zimmer. Henry kam gern vorbei. Wenn ich mit der Arbeit fertig war und noch nicht schlief, unterhielten wir uns, manchmal bis tief in die Nacht. An einem solchen Abend kurz nach Semesterbeginn fragte er mich aus heiterem Himmel – oder vielleicht, weil ich ein Seminar über Dramen aus der Zeit Jakobs I . belegt hatte –, ob ich je von einem französischen Stückeschreiber des fin de siècle namens Albert Jarry oder seinem Stück Ubu Roi, beide sehr berühmt, gehört hätte. Er buchstabierte die Namen. Ich schüttelte den Kopf.
    Das ist wirklich schade, sagte er, Jarry und Ubu sind meine großen Entdeckungen in Bayencourt.
    Da er meine verständnislose Miene sah, erinnerte er mich daran, daß er schon im April erzählt hatte, Etienne van Dammes Eltern hätten ihm einen Job in ihrem Château angeboten, das Bayencourt hieß, wie das Dorf in den Ardennen, über dem es thronte. Er sollte ihren Nichten und Neffen vom ersten Juli an Englischunterricht geben, so lange, bis er abreisen mußte, um sich für die Kurse des Herbstsemesters einzuschreiben. Ich gab zu, daß ich es vergessen hatte. Henry erzählte weiter, daß er in Bayencourt auch Mr. van Dammes deutlich jüngeren Bruder Denis, den Direktordes Brüsseler Nationaltheaters, kennengelernt habe. Eines Abends, nachdem seine Schüler schlafen gegangen waren, habe er in der Bibliothek des Schlosses gesessen; dazu hatte man ihn ausdrücklich ermuntert. Vor sich auf dem Tisch habe er einen Band Plautus-Stücke und ein lateinisches Lexikon gehabt, in dem er blätterte. Als er sah, daß ich lächelte, sagte Henry schnell: nicht aus Wichtigtuerei, sondern weil ich mir einen Vorsprung für das Seminar im Herbst verschaffen wollte. Auf einmal habe Denis ihm über die Schulter gesehen und gesagt, an die Menaechmi , das Stück, das Henry aufgeschlagen hatte, erinnere er sich genau. Dann war die Rede vom Theater im allgemeinen, und Denis fragte, was Henry von Jarry halte. Als Henry antwortete, den Namen habe er noch nie gehört, sagte Denis, diese Lücke könne geschlossen werden; er sei sicher, daß Jarrys Werke im Bücherregal unter J stünden; sein Bruder ordne Bücher in strenger alphabetischer Ordnung nach Autorennamen. Und prompt fand er den Band mit König Ubu und gab ihn Henry mit den Worten, dies sei Jarrys Meisterwerk. Wenn Henry es gelesen habe, würden sie weiterreden.
    Henry legte den Plautus beiseite und stürzte sich auf Ubu. Er las im Bett. Das Französisch war kein Problem für ihn, bis auf die Flut von Schimpfwörtern, viele davon obszön, deren Bedeutung er nur raten konnte, da er kein einschlägiges Lexikon im Zimmer hatte, und die Wortspiele, die ihn schlicht überforderten. Am nächsten Tag fragte Denis ihn nach seinem Eindruck. Henry erwiderte ohne Zögern, er sei hingerissen

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