Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
Vom Netzwerk:
Stück und die Aufführung empörend und schockierend fanden. Interessant für mich ist, daß Ubu vorher mit Erfolg von Amateuren als Marionettenspiel aufgeführt worden war und daß es seitdem auch in normalen Theatern als Marionettenspiel präsentiert wurde. Ich möchte es im Innenhof des Fogg Museum aufführen. Das wäre der perfekte Rahmen, nicht zu groß und nicht zu klein, und mir gefällt die Vorstellung von dem Gegensatz zwischen dem Renaissance-Stil des Museums und dieser pseudomittelalterlichen Farce. Ich sehe nicht ein, warum Kollegiaten nicht genauso gut funktionieren sollten wie Marionetten, vorausgesetzt, der richtige Puppenspieler zieht die Fäden. Das wird meine Aufgabe. Ich werde der Regisseur und vermutlich auch der Produzent sein, falls sich nicht jemand anbietet, der dieselbe Wellenlänge und Frequenz hat wie ich.
    Ich fragte Henry, ob er noch alle Tassen im Schrank habe.
    Zur Antwort zog er ein Merkheft voller Notizen zur Produktion, Skizzen und Regieanweisungen aus der Tasche und beschrieb seine Pläne so überzeugend, daß ich mich mit dem Gedanken vertraut machte, dies sei womöglich wieder eines seiner unmöglichen Projekte, die er gegen alle Wahrscheinlichkeit zustande bringen würde.
    Ich wünschte ihm Glück und fragte, ob Margot auch in Bayencourt gewesen sei. Ich hatte sie seit unserem ersten Studienjahr nicht mehr gesehen und alles vergessen, was Henry mir im Winter und Frühjahr meiner Krankheit erzählt haben mochte.
    Er zögerte und sagte, eins müsse er klarstellen: Die vanDammes hatten ihn eingestellt, weil sie ihn bei seinem ersten kurzen Besuch als jemanden kennengelernt hatten, der ihre Bande von Sechs- bis Elfjährigen für die englische Sprache interessieren und zum Englischsprechen anhalten konnte – ein verrückter Einfall, da diese Bande kleiner Belgier von ihm höchstens Englisch mit polnischem Akzent lernen konnte, aber trotzdem war es allein der Einfall der van Dammes – und weder Etienne noch Margot hatten etwas damit zu tun. Etienne sei ein paarmal von Brüssel gekommen, wo er für die Holding für Versorgungsunternehmen arbeite, deren Hauptaktionär seine Familie sei. Margot sei überhaupt nicht erschienen. Soviel er wisse, habe sie den Sommer mit ihren Eltern in London und Südfrankreich verbracht. Er wußte nicht, ob Etienne sie besucht hatte.
    Wenn das so ist, bemerkte ich, müssen sie sich getrennt haben. Henry antwortete, er wisse es nicht; weder Margot noch Etienne hätten ihm etwas erzählt.
    Ich hätte mir keine Sorgen machen müssen, daß Henry sich im Speisesaal des Hauses als Eindringling fühlen oder als solcher behandelt würde. Obwohl er und Archie noch immer in der Mount Auburn Street im Exil lebten, war er in seinem zweiten Studienjahr auf der Leiter der gesellschaftlichen Anerkennung durch das Haus so weit aufgestiegen, wie ein Intellektueller oder Ästhet, der nicht in die richtige Schule gegangen war, nur hoffen konnte. Er verstand sich gut mit Tom Peabody und den anderen jüngeren Tutoren und setzte sich beim Lunch oder Dinner ohne Zögern neben sie. Überraschender war es, ihn an einem Tisch sitzen zu sehen, den Tom den Parnaß nannte, das Lehen einer Clique älterer Studenten mit starken kulturellen Ambitionen, deren Unterhaltung eine bunte Mischung aus Anekdoten über die Lunts, Cole Porter, Wystan Auden, Thornton Wilder, General Marshall, Ruth Draper und andere Leitsternewar, die alle außer General Marshall mit ihren Vornamen bezeichnet wurden. Die Studenten an diesem Tisch, Freunde seit dem Kindergarten, waren alle in die richtigen Schulen gegangen oder jedenfalls in Schulen, die ausreichten. Tom Peabody hatte mich einmal mitgenommen zu einer Aufführung von Jerome Robbins’ Ballett The Cage in New York. Der Parnaß erinnerte mich mit seiner Attraktivität, dem engen Zusammenhalt und der fundamentalen Feindseligkeit gegenüber Außenseitern an Robbins’ endogame Insekten; Ralph Wilmerding, ein versnobter Student im dritten Jahr, den ich vom ersten Augenblick an unsympathisch fand – hoffentlich nicht aus Neid –, war eindeutig ihre fleischfressende Insektenkönigin.
    Mit einem aus der Gruppe, Jack Merton, Student im vierten Jahr, war ich befreundet; wir saßen im selben schwachbesuchten Kurs über kreatives Schreiben. Er war ein reiches Waisenkind aus San Francisco und wahrscheinlich der einzige modebewußte Kollegiat, der statt abgewetzter Tweedjacken, Khakihosen und Mokassins tagein, tagaus graue Kammgarnanzüge und braune Budapester

Weitere Kostenlose Bücher