Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ehrenwort

Titel: Ehrenwort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
Vom Netzwerk:
Hütte im Schwarzwald gekauft, direkt an einem kleinen See. Wenn das Wetter weiter so schön bleibt, wollen wir hinfahren. Tut mir leid, Petra, dass du dann ganz ohne Beistand die Stellung halten musst.«
    Insgeheim fand Petra das gar nicht so schlimm. Zum ersten Mal konnte sie ihren Lover nach Hause einladen, wo ein großes Ehebett und nicht bloß ein schmales Sofa stand. Dann wurde endlich ein Hausfreund aus ihm. Mit dem Alten würde sie schon fertig.

    Leider wurde sie enttäuscht. Am nächsten Mittag wartete sie vergeblich auf ihren Bürofreund, er kam nicht, rief aber etwas später an. Am Wochenende sei er verreist, er treffe sich mit ehemaligen Studienkollegen. Sie hätten früher Folkmusik zusammen gemacht, man wolle ein bisschen feiern und Dudelsack, Gitarre und Flöte wieder herauskramen.
    Doch da Petra durch und durch eine tatkräftige Frau war, entdeckte sie schnell eine positive Seite an dieser Situation. Neulich war ihr Plan, den Schwiegervater durch einen Sturz ins Jenseits zu befördern, gescheitert. Demnächst aber war ihr der Alte völlig ausgeliefert, abgesehen von der halben Stunde am Morgen und Abend, wenn die Pflegerinnen kamen. Die Stolperdrähte konnten erneut gespannt werden.
    Je länger sie allerdings über diese Methode nachdachte, desto weniger gefiel sie ihr. Der Alte konnte die Fäden bemerken und sofort die richtigen Schlüsse ziehen. Nein, es musste hundertprozentig nach einem häuslichen Unfall aussehen, ganz ohne Fallstricke. Und da kam Petra plötzlich das elterliche Treppenhaus in den Sinn, wo gelegentlich ein Schild am Geländer hing: Vorsicht! Frisch gebohnert!
    Bei Knobels wurde nie gebohnert, in den meisten Zimmern lag Teppichboden. Aber man konnte ja mal einen Versuch wagen und den Flur im oberen Stockwerk zur Schlitterbahn umfunktionieren. Statt ihre Pause einsam und traurig auf der Couch zu verbringen, raffte sich Petra auf, fuhr rasch zum Supermarkt und besorgte alles Nötige fürs Abendessen und außerdem eine große Packung gelbes Bohnerwachs. Natürlich musste am kommenden Freitag der breite Läufer eingerollt werden, damit eine größere spiegelblanke Fläche entstünde.
    Wenn die Nachtschwester fertig war, hatte der Alte noch viel Zeit bis zum Einschlafen. Nach einem reichlichen, aber alkoholfreien Abendtrunk würde er vielleicht die Toilette aufsuchen, was ihm neuerdings immer häufiger glückte. Falls er aber im Bett blieb, dann würde sie eben den Läufer morgens wieder ausbreiten und erst nach dem Verschwinden der Pflegerin erneut entfernen. Spätestens dann wanderte der Alte auf seinen Krücken herum und trainierte die Beinmuskeln. Sollte er dabei stürzen, war sie längst in der Buchhandlung. Es gab kein besseres Alibi.

    Am Nachmittag trat sie mit bösen Vorsätzen in das Zimmer ihres Schwiegervaters, rümpfte zwar heimlich die Nase über den Qualm, fragte aber freundlich nach seinem Befinden. Guten Tag, meine kleinen Geißlein, eure liebe Mutter ist wieder da, dachte sie und fühlte sich als Wolf.
    »Dea ex machina!«, sagte der Alte. »Gerade habe ich an dich gedacht, aber nicht mit dir gerechnet. Ich wollte mich nämlich schon lange bei dir bedanken. Und wenn du schon danach fragst - bei euch geht's mir richtig gut. Max kocht leckeres Essen, Elena treibt ihre Spaße mit mir. Panem et circenses - Brot und Spiele, was will man mehr!«
    »Am Wochenende musst du auf Max verzichten«, sagte Petra. »Er will Mizzi in Berlin besuchen, was ich sehr begrüße; wir sind schon jetzt gespannt auf seinen Bericht. Harald will übrigens auch verreisen! Aber wir zwei werden uns schon vertragen, und die Pflegerinnen kommen ja wie gewohnt.«
    »Bin ich dann der einzige Mann im Haus?«, fragte der Alte ein wenig zaghaft.
    »In Dossenheim warst du das doch auch«, sagte Petra. »Warum auf einmal so ängstlich?«
    »Nun, man hat euch schließlich bedroht ...«, murmelte er, und sie ärgerte sich, dass Max den alten Mann offenbar eingeweiht hatte.
    Spaßeshalber sagte sie aber: »Unter deinem Protektorat wird es niemand wagen, mich zu überfallen.«

    Max war aufgeregt. Zwar war er schon oft nach Australien geflogen, aber eine Bahnreise nach Berlin war Neuland. Auf dem PC erkundete er die optimale Zugverbindung und kaufte am Bahnhof zwei Fahrkarten. Da er nur einen Rucksack mitnahm, konnte er zu Fuß zum Bahnhof laufen und brauchte keinen Dauerparkplatz. Die ganze Expedition war teuer genug. Zum Glück hatte ihm seine Mutter zwei Hunderter zugesteckt, damit er mit Mizzi auch mal

Weitere Kostenlose Bücher