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Ehrenwort

Titel: Ehrenwort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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zurückhaltender, in den Arm genommen.
    »Hey, Kleiner«, sagte Mizzi. »Und wie war die Reise?«
    Beide lachten, denn so hatte ihre Großmutter jeden Besucher begrüßt, auch wenn er kaum fünf Kilometer zurückgelegt hatte.
    Jenny betrachtete Mizzi mit gemischten Gefühlen. Eine Bohnenstange, die Psychologie studierte und sicherlich alle Menschen mit Röntgenblick durchschaute. Mizzi schleppte einen schweren Korb, gefüllt mit Cola und Katzenstreu.
    »Dit is für meine zwei Lebensjefährten«, sagte sie, und schon ärgerte sich Max. Er hasste es, wenn sie berlinern wollte, weil es bei ihr so künstlich klang.
    Erst wollte man mit der U-Bahn nach Friedenau fahren, das Gepäck nach Hause bringen, später - wenn Jasmin eintraf - beim Thai essen gehen. Jenny wunderte sich über die Wohnung der Studentinnen, die so unordentlich war, wie sie es noch bei keinem Pflegebedürftigen erlebt hatte. Schließlich tauchte Jasmin auf, die Erziehungswissenschaften und Arabistik studierte und ein bunter Vogel zu sein schien. Die Sensation aber war das exotische Essen. Jenny hatte keine Ahnung, was sie bestellen sollte, Mizzi wählte für sie aus. Als serviert wurde, probierte Jenny skeptisch die rote Glasnudelsuppe und bekam einen Hustenanfall.
    »Das brennt ja wie Feuer«, sagte sie entsetzt.
    Jasmin schien erfreut: »Komm wir tauschen!«, und schob ihr eine Portion Curry-Krabben mit Ei hin, die Jenny auch nicht schmeckten.
    Mizzi behauptete, Jasmin habe eine seltsame psychische Störung - sie wolle immer das essen, was andere auf dem Teller hatten. Max mampfte gebratenen Reis mit Hühnerfleisch - Mizzi sprach von flied lice - und war damit zufrieden.
    »Dein Großvater wurde heute von der Heidi ins Bett gebracht«, flüsterte Jenny. Doch Max mochte jetzt nicht an den Alten denken, er wusste ja, dass seine zuverlässige Mutter ihn versorgte. Morgen wollte man auf die Straße des 17. Juni zum Flohmarkt gehen, wo eine Freundin Omas Nachlass verhökerte. Aber Max freute sich eher auf eine lange Liebesnacht.

    Auch Harald ging es nicht schlecht. Mit seinem Freund Jürgen hatte er einen Treffpunkt vereinbart, weil die Hütte nicht leicht zu finden war. Das Wetter blieb beständig, es war zwar noch ein wenig frisch, aber sonnig und klar. Am See saßen sie lange auf einer Bank und blickten tatenlos auf das trübe Wasser.
    »Hast du Hunger?«, fragte Jürgen schließlich.
    »Schon, aber noch haben wir keinen Fisch an Land gezogen«, meinte Harald. Also machten sie sich auf den Weg. Schließlich landeten sie in einem Edelrestaurant, wo sich Harald im karierten Hemd etwas schäbig vorkam.
    »Selbstverständlich bist du mein Gast«, sagte Jürgen. »Eine Hand wäscht die andere!«
    »Pst!«, sagte Harald und sah sich verstohlen um, entdeckte aber nur wildfremde Gesichter.

    Während ihr Mann im Schwarzwald sowie Max und Mizzi in Berlin schon fest schliefen, war Petra von dem unerhörten Gepolter wieder hellwach geworden. Nach einigen Schrecksekunden setzte sie sich auf, machte Licht, sah auf die Uhr und spähte in den Flur. Dort lag allerdings kein Schwiegervater am Boden. Vorsichtig, um nicht selbst zu stürzen, tappte sie barfuß in den Raum des Alten. Dunkelheit, leises Schnarchen. Auch hier knipste sie den Schalter an und sah verwundert, dass der Alte friedlich im Bett lag. War alles nur ein Traum gewesen?
    Als sie etwas verunsichert zurück ins eigene Bett wollte, bemerkte sie die Schlitterspuren in der Diele, die bis zur Treppe führten. Also war der Alte doch ausgeglitten und hatte sich - wie durch ein Wunder - ohne jegliche Hilfe wieder gefangen? Petra mochte es kaum glauben.
    Da entdeckte sie einen abgetretenen schwarzen Stiefel auf dem obersten Treppenabsatz. Völlig irritiert ging sie langsam Stufe für Stufe hinunter und erschrak auf halber Höhe fast zu Tode. Unten lag ein wildfremder Mann, der sie mit wütender, schmerzverzerrter Miene anstarrte. Der zweite Stiefel lag neben ihm. Sein linkes Bein war merkwürdig verdreht und seine Socken hatten Löcher.
    Ha!, dachte sie, der Erpresser! Er wollte mich entführen oder gar umbringen! Aber anscheinend ist er durch meine Kunst die ganze Treppe hinuntergesegelt und nun kampfunfähig.
    »Das geschieht Ihnen recht!«, rief sie triumphierend. »Wer anderen eine Grube gräbt! Ich rufe jetzt die Polizei.«
    Aber wie war der Kerl überhaupt hereingekommen, wo sie die Haustür doch von innen abgeriegelt hatte? Petra hatte keine große Lust, über den Verbrecher hinwegzusteigen und das

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