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Ehrenwort

Titel: Ehrenwort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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zugelassen, dass man Max lebensgefährlich verletzte - eine gute Milchkuh sollte man auf keinen Fall schlachten.

    Als Harald am späten Samstagnachmittag seine Frau anrief und im einzigen ihm geläufigen Latein mit seinen Angelerfolgen prahlen wollte, wurde er mit Vorwürfen überhäuft. Wieso er wieder mal sein Handy nicht angeschaltet habe - jetzt, wo man ihn wirklich gebraucht hätte. Harald hörte fassungslos zu und bot an, auf der Stelle heimzufahren.
    »Den Kerl will ich sehen«, sagte er empört. »Wo wohnt er überhaupt, wie kommt er dazu, mich zu diffamieren und meine Familie zu bedrohen! Hat er einen persönlichen Nachteil, wenn die Tiefgarage gebaut wird? Ist er Bauunternehmer oder Architekt oder so etwas?«
    Petra konnte keine dieser Fragen beantworten.
    »Er sah ziemlich heruntergekommen aus, wahrscheinlich ist es nicht der Erpresser selbst, sondern ein Auftragskiller ...«, ihr stellten sich die roten Nackenhaare auf. Und wenn er jetzt einen Kollegen vorbeischickte? »Er heißt Horst Müller«, stotterte sie, »mehr weiß ich nicht. Ich schätze ihn auf etwa vierzig. - Du kannst aber ruhig bis morgen bleiben, Näheres wird man sowieso erst am Montag erfahren.«
    Harald packte nach einigem Zögern doch seine Siebensachen zusammen und setzte sich hinters Steuer. Die Lust am beschaulichen Angeln war ihm vergangen.

15

    Da Jenny schon fast zehn Jahre als Altenpflegerin arbeitete, hatte sie bereits mehrere Todkranke begleitet. Wenn eine enge Beziehung zwischen Krankenschwester und Patient bestanden hatte, fragten die Angehörigen zuweilen, ob sich die Pflegerin ein Erinnerungsstück aussuchen wolle. Natürlich hatten die Erben bereits Sparbücher, Wertpapiere, kostbare Sammlungen, Schmuck und Uhren, vor allem aber Bargeld an sich genommen. Jenny konnte mit dem übrigen Kram absolut nichts anfangen. Wo sollte sie auch die Tassen und Teller, die meistens einen Sprung hatten, die durchgesessenen Sofas, Alpenveilchen, altmodischen Lampen, kitschigen Bilder oder gar großmütterliche Klamotten hintun? Einmal hatte sie aus dem Nachlass eines Jägers einen Handspiegel mit einem Stiel aus Gamshorn bekommen. Verwandte, die es gut mit ihr meinten, überreichten ihr einen Umschlag mit 50 Euro - das war aber auch das höchste der Gefühle.
    Sie machte große Augen, als sie auf dem Berliner Flohmarkt den gesamten alten Plunder wiederentdeckte - Dinge, die ihrer Meinung nach in einen Abfallcontainer oder auf den Sperrmüll gehörten. Zu Jennys Verwunderung war Mizzi ganz scharf auf Porzellanbecher mit Katzenporträts und auf Bilderrahmen, an denen der Holzwurm genagt hatte; Jasmin suchte einen Fuchskragen für ihren Trenchcoat. Max wühlte zwar in einem Kasten mit CD, schien aber kein ausgeprägtes Jagdfieber zu entwickeln.
    »Komm«, flüsterte Jenny ihm zu. »Mich interessiert das alles nicht. Können wir uns nicht mal einen Moment hinsetzen? Ich muss dringend mit dir reden!«
    Sie sahen sich suchend nach einem ruhigen Plätzchen um und versanken am Nachbarstand in einem blumigen Plüschkanapee, aus dem eine Staubwolke aufwirbelte. Der Händler zwinkerte ihnen verschwörerisch zu.
    »Mal ebent Händchen halten, wa?«, sagte er.
    Max legte seinen Arm um Jenny.
    »Du, der Falko heißt in Wirklichkeit Horst Müller«, begann sie und musste ein paar Mal niesen. »Jetzt hat er mich anscheinend ausfindig gemacht. Sicher wollte er rauskriegen, ob ich bei dir übernachte. Es tut mir so leid für deine Mutter!«
    »Ach, Jenny, beruhig dich erst mal«, sagte Max. »Es ist alles ganz anders, als du denkst. Ich kenne Falko doch auch.« Und er erzählte Jenny einen Großteil der peinlichen Geschichte.
    Sie hörte erstaunt zu. »Geschieht ihm recht, dass er sich das Bein gebrochen hat«, sagte sie grimmig. »Aber was sollen deine Eltern davon halten? Wissen sie überhaupt Bescheid?«
    »Sie halten ihn für einen Erpresser. Mein Vater hat neulich einen anonymen Brief bekommen, meine Mutter wurde telefonisch bedroht. Wahrscheinlich hat Falko aber gar nichts damit zu tun. Irgendwie habe ich Schiss, meinen Eltern alles zu erklären, mein Vater hält mich sowieso für einen Versager. Und er hat ja recht, ich war so blöde.«
    »Ich aber auch«, sagte Jenny. Sie war noch nicht am Ende mit ihrem Geständnis: »Damals war ich so was von naiv. Falko wollte mich für seine Zwecke abrichten und verwickelte mich in krumme Sachen. Mich mit einer Jugendstrafe bei der Polizei zu bewerben war dann natürlich aussichtslos. Das hat er mir auch

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