Ehrenwort
eine türkische Familie und ein jüngeres Paar, werden gebeten, sich unverzüglich mit der Polizei in Verbindung zu setzen.
War das wirklich Pit Bull, den man da gefunden hatte? Max stutzte. Nur von einer leichten Schussverletzung war die Rede, stattdessen aber von einem Knebel im Mund. Hatte die Polizei geschlampt oder eher der Reporter? Am liebsten hätte er Jenny angerufen, aber sie hatten ausgemacht, nicht per Handy über Pit Bull und sein Ende zu sprechen. Max schnitt den Artikel aus und warf die restliche Zeitung in die Mülltonne. Schnell sah er noch nach dem Großvater, aber der schlief weiterhin den Schlaf des Gerechten.
Etwas unsicher, weil Jenny ihn bisher nie in ihre Wohnung gelassen hatte, setzte sich Max ins Auto und fuhr zu ihr. Er konnte sich ja als Postbote ausgeben, falls ihre neugierigen Nachbarn durch den Spion linsten.
Jenny öffnete die Tür nur einen Spalt und schien nicht erfreut über den frühen Besuch. Sie trug einen fleckigen Bademantel, die Haare waren zerwühlt, die Zähne noch nicht geputzt. Nur ungern ließ sie Max herein, und auch nur bis in die winzige Küche.
Max setzte sich auf eine Bank neben eine altmodische große Babypuppe aus Zelluloid, die einen gehäkelten Strampelanzug trug. Er lächelte ein wenig, weil seine Schwester eine elegant gekleidete Schneiderbüste in ihrem Berliner Zimmer aufgestellt hatte, während bei ihm selbst eine Buddhastatue auf dem Schrank hockte. Das seien die Gartenzwerge der jungen Generation, hatte sein Vater gespottet.
Jenny las den Zeitungsartikel zweimal und warf Max einen Blick zu, den er nicht ganz deuten konnte.
»Was hältst du davon?«, fragte er. Da begann sie zu weinen.
»Ich konnte nicht anders«, schluchzte sie. »Er kam auf einmal wieder zu sich!«
»Ich verstehe nur Bahnhof!«
Max sah sich suchend nach einer Packung Tempos um, aber sie zog bereits ein giftgrünes Tüchlein , aus der Tasche des Bademantels.
Nach anhaltendem Schniefen und Schneuzen war sie endlich dazu imstande, etwas präziser zu berichten. Als Max den Polo suchen ging, war sie mit dem toten Pit Bull allein. Plötzlich habe er sich bewegt und Töne von sich gegeben. Vor Angst und Entsetzen hatte sie ihm ihr Taschentuch in den Mund gestopft und schleunigst den Plastiksack über den Kopf gezogen.
»Und dann?«, fragte Max.
Jenny zitterte wie Espenlaub. »Er hat ganz eklig geröchelt«, wimmerte sie, »aber als du wieder da warst, war er still.«
Auch Max wurde still, denn langsam begriff er die Tragweite ihrer Worte. Die Situation sah jetzt völlig anders aus: Nicht der verschrobene Großvater hatte Pit Bull aus Versehen zur Strecke gebracht - Jenny hatte ihn getötet. Vielleicht wäre der Kerl noch zu retten gewesen? Die Sache begann Max allmählich über den Kopf zu wachsen. Warum hatte sie den völlig wehrlosen Pit Bull erstickt?
Mit verweinten Augen sah Jenny ihn an. Da begriff Max endlich: »Er hat dich damals vergewaltigt!«
»Sie werden mich kriegen«, jammerte Jenny, »meine Fingerabdrücke, mein Taschentuch...«
Max nahm sie in die Arme. »Du hast ein Alibi, weil du die Nacht bei mir verbracht hast!«, tröstete er sie.
Doch ganz geheuer war ihm die Sache nicht. Er stand auf, um lieber heimzufahren und nach dem Alten zu schauen.
20
Kommissar Ronald Melf hörte sich geduldig an, was sein Freund Harald Knobel über den zweiten Anruf des Erpressers berichtete. Dann meinte er:
»Der Einbrecher, der neulich bei euch die Treppe hinuntersegelte, war eher eine Witzfigur - der schreibt bestimmt keine Drohbriefe. Ein kleiner Dieb und gescheiterter Zuhälter. Der Trottel behauptet, er sei mit deinem Sohn befreundet, eine dümmere Ausrede kann man sich kaum ausdenken.«
»Ist schon fast vergessen, der hat seine Strafe ja weg und wird bestimmt nicht wiederkommen. Viel wichtiger ist, ob ihr mit dem Erpresser einen Schritt weitergekommen seid?«
»Wir überprüfen gerade, welche Anlieger von Hauptstraße und Marktplatz zu den notorischen Querulanten gehören. Den ersten Anruf bei Petra konnten wir im Übrigen nicht nachverfolgen, weil er von einem Apparat am Frankfurter Hauptbahnhof getätigt wurde. Aber wir haben bereits einen Verdächtigen im Visier, dessen Namen ich noch nicht verraten möchte. Ein verquaster, aber harmloser Zeitgenosse, der die hiesige Presse gern mit Leserbriefen bombardiert. Wir werden ihn im Auge behalten, also mach' dir keine Sorgen.«
In Wahrheit machte Harald sich mehr Sorgen um den eigenen Sohn als um einen fremden Spinner.
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