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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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des zionistischen Wochenblatts »Die Jüdische Rundschau« während der ersten Monate des Hitlerregimes von ca. 5000 – 7000 auf beinahe 40 000 sprang, und es ist belegt, daß die zionistischen Organisationen im Jahre 1935/36 an Beiträgen und Spenden von einer beträchtlich verkleinerten und verarmten Bevölkerungsgruppe dreimal soviel erhielten wie 1931/32.)
    Das brauchte nicht unbedingt zu bedeuten, daß die Juden nach Palästina auszuwandern wünschten; es war eher eine Frage des Stolzes: »Tragt ihn mit Stolz, den gelben Fleck!« war zu Recht die populärste Parole jener Jahre, geprägt von Robert Weltsch, dem Chefredakteur der »Jüdischen Rundschau«, als Antwort auf den Boykott vom 1. April 1933; sie entsprach genau der damals einzig möglichen Haltung. Die polemische Pointe der Parole richtete sich gegen die »Assimilanten« und all jene, die es ablehnten, der neuen »revolutionären Entwicklung« zu folgen, gegen die »ewig Gestrigen«. Zeugen aus Deutschland beschworen während des Prozesses die Erinnerung an dieses Schlagwort wieder herauf. In der Rührung, die sie dabei überfiel, vergaßen sie zu erwähnen, daß Robert Weltsch, auch heute noch ein sehr angesehener Journalist, vor einigen Jahren gesagt hat, er hätte niemals diese Parole ausgegeben, wenn er hätte voraussehen können, daß die Juden nur sechs Jahre später wirklich gezwungen werden würden, den sechszackigen gelben Stern zu tragen. Aber ganz abgesehen von allen Parolen und den innerjüdischen ideologischen Auseinandersetzungen, war es in jenen Jahren einfach eine Erfahrungstatsache, daß nur Zionisten Aussichten hatten, mit deutschen Behörden erfolgreich zu verhandeln. Das lag daran, daß ihr hauptsächlicher innerjüdischer Gegner, der Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, dem damals 95 der organisierten Juden Deutschlands angehörten, laut Statuten vor allem um des »Kampfes gegen den Antisemitismus« willen existierte, was nun den Verband automatisch zu einer »staatsfeindlichen Organisation« machte, die unweigerlich von Staats wegen verfolgt worden wäre, wenn sie ihren Statuten treu geblieben wäre – was nicht geschah. Den Zionisten aber erschien in den ersten Jahren Hitlers Machtergreifung hauptsächlich als »eine entscheidende Niederlage der Assimilation«.
    Deshalb konnten sie sich, zumindest eine Zeitlang, auf eine von ihrem Standpunkt aus ganz legitime Zusammenarbeit mit den Nazibehörden einlassen; sie glaubten ja wirklich, daß »Dissimilation«, verbunden mit der Emigration junger Juden und, wie sie hofften, jüdischer Kapitalisten nach Palästina, eine für »beide Teile tragbare Lösung« sein werde. Viele deutsche Beamte waren damals der gleichen Meinung, und unverbindliche Redensarten dieser Art haben offenbar bis zum Schluß eine Rolle gespielt. So berichtet ein gut unterrichteter deutscher Jude, der als Schwerkriegsverletzter nach Theresienstadt kam und den Krieg überlebte, daß alle führenden Positionen in der von den Nazis im Jahre 1939 erzwungenen Reichsvereinigung von Zionisten besetzt wurden, und zwar ausdrücklich »mit der Begründung, daß diese die ›anständigen‹ Juden seien, da sie genau wie die Nazis ›national‹ dächten«. Natürlich hat sich kein prominenter Nazi je öffentlich in diesem Sinne geäußert; die Nazipropaganda war von Anfang bis Ende unzweideutig auf fanatischen und kompromißlosen Antisemitismus abgestellt; und letzten Endes zählten eben nur die Dinge, die Menschen ohne Erfahrung mit einem totalitären Herrschaftsapparat als »bloße Propaganda« abtaten. In jenen ersten Jahren entstand ein scheinbar gegenseitig höchst zufriedenstellendes Übereinkommen zwischen den Nazibehörden und der Jewish Agency for Palestine, das sogenannte Ha’-avarah oder Transferabkommen, das es Emigranten, die nach Palästina gingen, ermöglichte, ihr Geld in Form deutscher Waren zu transferieren; was sie in Deutschland eingezahlt hatten, wurde ihnen bei der Ankunft in Pfund zurückgezahlt. Dies erwies sich bald als die einzige legale Möglichkeit für jüdische Auswanderer, ihr Geld mitzunehmen, es sei denn, sie eröffneten ein Sperrkonto, das man vom Ausland aus nur mit einem Verlust von 50 % bis schließlich 95 % realisieren konnte. Das Ergebnis war, daß in den dreißiger Jahren, als das amerikanische Judentum sich bemühte, einen Boykott deutscher Waren zu organisieren, ausgerechnet Palästina mit allen möglichen Erzeugnissen »made in Germany« überschwemmt war.
    Von

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