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Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
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verarbeitet, aufgenommen, interessiert aufgenommen [hatten]. Sie hatten keinen Kontakt, keinen inneren Kontakt zur Sache. Sie waren bloße Büromenschen. Der Paragraph entschied, der Befehl entschied, das andere interessierte nicht.«
    Sie und nicht er also waren jene »kleinen Rädchen« gewesen, zu denen die Verteidigung Eichmann machen wollte. Wenn damit nicht mehr als blinder Gehorsam gegenüber allen Befehlen des Führers gemeint war, unter Hintanstellung aller eigenen Meinungen und Wünsche, dann waren sie freilich alle »kleine Rädchen« gewesen – denn selbst Himmler hatte, wie wir von seinem Masseur Felix Kersten hören, die »Endlösung« nicht mit ungeteilter Begeisterung begrüßt, und Eichmann versicherte dem verhörenden Polizeioffizier, daß sein eigener Chef, Heinrich Müller, niemals eine so »blutige Gewaltlösung« wie die »physische Vernichtung« vorgeschlagen hätte. Überhaupt war die Rädchentheorie ganz offensichtlich nicht nach Eichmanns Geschmack. Ein so großes Tier gewesen zu sein, wie Hausner aus ihm machen wollte, beanspruchte er zwar nicht – schließlich war er nicht Hitler –, und er konnte sich an Bedeutung für die »Lösung der Judenfrage« auch nicht mit Müller, Heydrich oder Himmler messen; er war ja nicht größenwahnsinnig. Aber so klein, wie die Verteidigung ihn haben wollte, war er schließlich auch nicht gewesen.
    Was Eichmanns Entstellungen der Realität so grauenhaft macht, sind die grauenhaften Dinge, um die es sich handelte – im Prinzip unterscheiden sie sich aber nur unwesentlich von Auffassungen, die man im Nach-Hitler-Deutschland hören kann. Man braucht sich z. B. nur daran zu erinnern, daß 1961, im Jahr der Bundestagswahlen, der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß einen – allem Anschein nach recht erfolgreichen – Angriff gegen Willy Brandt, der in der Hitlerzeit nach Norwegen emigriert war, in Form folgender rhetorischer Frage lancierte: »Was haben Sie zwölf Jahre lang draußen gemacht? Wir wissen, was wir drinnen gemacht haben.« Soviel ich weiß, hat niemand dem Minister damals entgegengehalten, daß es mittlerweile doch wohl aktenkundig geworden ist, was Deutsche in Deutschland in jenen zwölf Jahren getan haben. Die gleiche Ahnungslosigkeit findet sich in einer Bemerkung, die ein angesehener deutscher Literaturkritiker, der wahrscheinlich niemals Mitglied der NSDAP gewesen ist, vor einiger Zeit ganz en passant in einer Buchkritik gemacht hat – er erwähnte da, daß der Autor einer Studie über die Literatur im Dritten Reich »haargenau [den] Slang jener Literaten [gebrauche], die uns beim Einbruch der Barbarei ausnahmslos im Stich ließen«. Der besprochene Autor war natürlich ein Jude, der niemanden »im Stich gelassen« hatte, sondern vertrieben worden war; im Stich gelassen hatten ihn vermutlich seine nichtjüdischen Freunde – Leute wie z. B. Heinz Beckmann vom »Rheinischen Merkur« –, die jetzt, ohne wahrscheinlich auch nur zu realisieren, was sie tun, den Spieß umdrehen. Übrigens fängt die Verlogenheit bereits mit dem Worte »Barbarei« an, das man heutzutage in Deutschland so gern für die Hitlerzeit gebraucht; hier klingt es zum Beispiel so, als hätten jüdische und nichtjüdische Intellektuelle einem Lande den Rücken gekehrt, das für sie nicht mehr fein und gebildet genug war. Im Unterschied zu den unbegreiflichen, weil ganz und gar realitätslosen Äußerungen heutiger Staatsmänner und Literaturkritiker, mit denen er es zwar an Bildung nicht aufnehmen konnte, hätte Eichmann für seine Geschichte immerhin einige unwiderlegbare Fakten ins Feld führen können, wenn nur sein Gedächtnis nicht so lückenhaft gewesen wäre – oder wenn ihm die Verteidigung zur Hilfe gekommen wäre. Denn »fest steht …, daß sich während der ersten Phasen der nationalsozialistischen Judenpolitik nicht selten eine Situation entwickelte, in welcher es den Nationalsozialisten angebracht erschien, eine prozionistische Haltung einzunehmen oder vorzugeben« (Hans Lamm), und während dieser frühen Zeit hatte Eichmann seine Weisheit über die Juden erworben. Er war auch keineswegs der einzige, der diesen »Pro-Zionismus« ernst nahm; die deutschen Juden selbst meinten, daß es genügen würde, die »Assimilation« durch einen neuen Prozeß der »Dissimilation« rückgängig zu machen, und strömten den zionistischen Organisationen zu. (Es gibt keine zuverlässige Statistik für diese Entwicklung, man schätzt aber, daß die Auflage

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