Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
Nazis die praktische Bedeutung des Gewissensproblems eher überschätzt haben. Dabei können wir hier von dem frühen Stadium der eigentlich antifaschistischen Opposition der Linksparteien, die prinzipiell der Judenverfolgung keine Bedeutung zumaßen, da diese ja nur zur »Ablenkung« von dem ihrer Meinung nach entfesselten Klassenkampf diente, absehen; diese Opposition war ohnehin in dem hier in Frage stehenden Zeitraum so gut wie vernichtet, zugrunde gegangen in dem furchtbaren Terror der SA-Banden, in den Konzentrationslagern und Gestapokellern, in der durch die Wiederaufrüstung ermöglichten Beseitigung der Arbeitslosigkeit, in der von Stalin gelenkten Taktik der Kommunistischen Partei, massenweise der NSDAP beizutreten, um sich dort als »trojanisches Pferd« einzurichten. Was davon übriggeblieben war – ein paar Gewerkschaftsführer, ein paar Intellektuelle der »heimatlosen Linken«, die selbst nicht wußten und auch gar nicht wissen konnten, wer eigentlich noch hinter ihnen stand, gewann Bedeutung erst durch die Verschwörung, die schließlich zum 20. Juli führte. (Ganz unzulässig ist, die Opposition danach abzuschätzen, wie viele Menschen durch die Konzentrationslager gegangen sind. In den Lagern saß vor Ausbruch des Krieges eine ganze Anzahl Menschen, die nicht das mindeste mit irgendeinem Widerstand zu tun hatten – völlig »Unschuldige« wie die Juden, »Asoziale« wie Gewohnheitsverbrecher oder Homosexuelle, Nazis, die sich irgend etwas hatten zuschulden kommen lassen; während des Krieges waren die nun auch von Juden gesäuberten Lager bevölkert von Widerstandskämpfern aus dem gesamten besetzten Europa.) Und diese Männer waren zu einem ganz erstaunlich großen Ausmaß ehemalige Anhänger der Nazis und in ihrer Mehrzahl hohe Beamte des Dritten Reichs gewesen. Ihre Opposition hatte sich erst an der Kriegsfrage entzündet, und die unendlichen Gewissenskonflikte, in die sie gerieten, drehten sich nahezu ausschließlich um das Problem des Hochverrats und des Eidbruchs. Hinzu kam ein in der Tat unlösbares Dilemma: in den Zeiten von Hitlers Erfolgen konnte man nicht zuschlagen, weil das Volk es nicht verstanden hätte, und in den Jahren der Niederlage fürchtete man sich vor dem Wiederaufleben der Dolchstoßlegende. Die größte Sorge war bis zum Ende, wie man ein Chaos verhindern (die Alliierten sollten »Vernunft« haben und bis zur Wiederherstellung der Ordnung und damit natürlich auch der Widerstandsfähigkeit des deutschen Heeres »stillhalten«) und die Gefahr des Bürgerkrieges abwehren könne. Von dem, was im Osten geschah, waren sie alle unterrichtet, aber daß angesichts dieser Ungeheuerlichkeiten ein Bürgerkrieg noch das Beste war, was Deutschland hätte passieren können, davon wäre wohl kaum einer von ihnen zu überzeugen gewesen. Vielleicht wäre dies anders bei der Linken gewesen, wenn man daran auch angesichts der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie zweifeln darf. (An die Existenz einer »sozialistischen Aufstandsorganisation«, wie sie Henk in seiner »Tragödie des 20. Juli 1944«, 1946, schildert, glaubt Ritter, »Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung«, 1954, S. 532, Anm. 63, wohl zu Recht nicht, vor allem angesichts der Äußerungen von Haubach, Mierendorff und Leber.)
Politisch war die Lage ebenso einfach wie verzweifelt: das Volk in seiner überwältigenden Mehrheit glaubte an den Führer, auch nach dem Angriff auf Rußland und dem gefürchteten Zweifrontenkrieg, auch nach dem Eintritt Amerikas in den Krieg, ja selbst noch nach Stalingrad, dem Abfall Italiens und der Landung in Frankreich. Dem standen eine ganz ungewisse Zahl einzelner und vereinzelter Menschen gegenüber, welche die nationale und moralische Katastrophe sahen und sich wohl auch gelegentlich trafen, aber ohne alle Aufstandsabsichten. Schließlich gab es die Gruppe der Verschwörer, die sich politisch niemals hatten einigen können: Goerdeler befürwortete eine erbliche Monarchie, der Leuschner als Sozialdemokrat die »Zustimmung breiter Massen« zusicherte, während der Kreisauer Kreis über die Annäherung der beiden christlichen Konfessionen debattierte, von einer »göttlichen Mission der Christlichen Kirchen im weltlichen Staat sprach« und sich für einen radikalen Föderalismus entschied. (Über den politischen Bankrott der gesamten Widerstandsbewegung seit 1933 liegt jetzt eine vorzüglich dokumentierte, objektive Arbeit vor in der Dissertation von Georg K. Romoser. »The Crisis
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