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Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition)

Titel: Eichmann-Syndikat: Tom Sydows fünfter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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nur,
verdammt noch mal, wo?
    Eine Frage,
über die er jetzt, da ihm das Wasser bis zum Hals reichte, lieber nicht nachdenken
wollte. Morell unterdrückte ein Seufzen und begann damit, die Steine auf der Oberkante
des schmucklosen Grabsteins aus Rosengranit zu platzieren. Guter Rat war in der
Tat teuer, und das nicht nur bezüglich der Frage, wie er mit den unlängst ergatterten
Informationen umgehen sollte. An wen – und wie – er sie weitergeben würde, war ein
Teil des Problems, ein anderer, in welche Art von Schwierigkeiten er dadurch geraten
würde. Um herauszubekommen, wer hinter dem brutalen Mord an Luise steckte, bedurfte
es keiner großen Fantasie, um sich auszumalen, was ihm blühte, nur eines Mindestmaßes
an Instinkt. Die Herren vom BND würden sämtliche Hebel in Bewegung setzen, um wieder
in den Besitz der Karteikarte zu kommen, was das bedeutete, war ihm vollauf bewusst.
    Es bedeutete,
dass man Jagd auf ihn machen würde, wieder einmal, um es präzise zu formulieren,
genau wie vor 20 Jahren. Wieder einmal war Morell ins Fadenkreuz der Mächtigen geraten,
und es war sinnlos, darüber nachzugrübeln, aus welchem Grund dies geschah. Jetzt
galt es, einen kühlen Kopf zu bewahren, wenngleich die Chancen, ihn aus der Schlinge
ziehen zu können, nicht übermäßig günstig standen.
    Ein Lächeln
im Gesicht, das zwischen Resignation und Entschlossenheit schwankte, genehmigte
sich Morell einen Schluck aus seinem Flakon und ließ das Erlebte Revue passieren.
Kein Zweifel, wer nicht zögerte, einen derart brutalen Mord zu begehen, würde so
schnell nicht aufgeben. Käme heraus, was nicht herauskommen durfte, würde dies nicht
nur zu einem handfesten Skandal, sondern darüber hinaus zu unabsehbaren politischen
Konsequenzen und einer Erschütterung des gesamten Systems führen. Das galt es zu
verhindern, zumindest aus der Sicht derjenigen, die nicht gezögert hatten, die Öffentlichkeit
hinters Licht zu führen. ›Standartenführer Eichmann befindet sich nicht in Ägypten,
sondern hält sich unter dem Decknamen Clemens in Argentinien auf.‹ Soweit der entscheidende,
vor mittlerweile 10 Jahren niedergeschriebene Satz. Ein Satz, der, harmlos ausgedrückt,
im Bonner Kanzleramt für erhebliche Unruhe sorgen würde.
    Und nicht
nur dort.
    Auf einen
Schlag hundemüde, hatte Morell Mühe, zu einem Entschluss zu gelangen. Wieso, fragte
er sich, den Zorn der Mächtigen auf sich ziehen, wenn derjenige, um den es ging,
demnächst das Schafott besteigen würde? An der Tatsache, dass Eichmanns Schicksal
besiegelt war, würde dies nicht das Geringste ändern. Vor zwei Tagen, am 29. Mai,
war das Todesurteil durch das Oberste Gericht des Staates Israel bestätigt worden,
und nichts deutete darauf hin, dass sein Gnadengesuch, die letzte sich bietende
Chance, beim israelischen Staatspräsidenten Gehör finden würde. Adolf Eichmann war
ein toter Mann, im übertragenen und demnächst wohl auch im wörtlichen Sinn.
    Ein Grund
mehr für ihn, so schien es, keinen Wirbel zu verursachen und die Affäre auf diskrete
Art und Weise zu beenden. Ein Anruf oder zwei, und die Sache war erledigt. Und er,
Theodor Morell, ein freier Mann.
    Frei?
    Morells
Miene verdüsterte sich, und wie um dies zu unterstreichen, zogen erneut dunkle Wolken
herauf. Freiheit – welch hehres Wort. Damals, am Ende des Krieges, hatte er noch
daran geglaubt. Wie alle, die mit heiler Haut davongekommen waren, hatte er Freudentänze
aufgeführt, an den Beginn einer neuen Ära geglaubt. Er hatte sich zu früh gefreut,
zum einen, weil längst nicht alle Schuldigen bestraft, zum anderen, weil viele von
ihnen bald wieder in Amt und Würden gewesen waren. Eichmann war nur die Spitze des
Eisberges gewesen, einer von vielen, die es verdient hätten, vor den Kadi zitiert
zu werden.
    Nachkarren
brachte jedoch nichts, nicht jetzt, da er eine Entscheidung zu fällen hatte. ›Und
sie möge wieder erstehen zu ihrer Bestimmung am Ende der Tage. Amejn.‹ [40] Der Mann, der sich
Theodor Morell nannte, hob den Blick und ließ ihn über die anmutige und von Kiefern,
Laubbäumen, Säulenpappeln sowie einem See durchsetzte Parklandschaft schweifen.
Wenigstens hier blieb er unbehelligt, denn abgesehen von einer Rentnerin, die soeben
in sein Blickfeld geriet und alsbald wieder zwischen den Grabsteinen verschwand,
war kein Mensch zu sehen.
    Morell irrte
sich, nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal an diesem Tag.
    Er irrte
sich, wenn er glaubte, man sei ihm nicht gefolgt. Er

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