Eidernebel
habe.«
»Am 21. Februar ist Biikebrennen auf Eiderstedt, da weiß man doch, wo man war, oder?«
»Stimmt! Da war ich beim Biikebrennen in St. Peter. Aber deswegen weiß ich trotzdem nicht mehr, was ich an den Tagen im April und Juli gemacht habe. Zeigen Sie mir mal jemanden, der das kann.«
»Kennen Sie eine der ermordeten Frauen?«, fragt Silvia Haman und zeigt ihm die drei Fotos.
»Nein! Ist das jetzt alles, ich muss hier weitermachen!«
»Wenn Sie nicht kooperativer sind, wird Ihre Nachbarschaft erfahren, dass Sie den Speicheltest verweigert haben.«
»Machen Sie, was Sie nicht lassen können. Hier wird mich keiner für einen Mörder halten. Moin, Moin!«
Silvia Haman kratzt sich am Kopf, weiß aber nicht mehr weiter. Mit einem »Moin, Moin« tritt sie den Rückzug an. Auf der Straße zieht die Hauptkommissarin die Liste mit den Verweigerern aus der Jackentasche und stellt fest, dass Alberts die letzte Person in dieser Gegend gewesen ist. Am Treffpunkt beim Briefkasten vor dem Gasthof Kirchspielkrug kommt ihr bereits Stephan Mielke entgegen, der bei einem anderen Verweigerer im Ort gewesen ist. Er schüttelt schon von Weitem den Kopf.
»Das war ein totaler Schuss in den Ofen«, stellt er ärgerlich fest. »Dem Typen musste man jedes Wort aus der Nase ziehen. Ein wortkarges Völkchen diese Eiderstedter. Rausgekommen ist so gut wie nichts, kein brauchbares Alibi. Aber ich kann mir auch nicht vorstellen, dass der unser Serienkiller ist.«
»Bei mir dito. Machen wir hier den Abflug«, sagt Silvia Haman und geht zum Dienstwagen hinüber, den Stephan Mielke direkt gegenüber der Westerhever St.-Stephanus-Kirche auf einem Grünstreifen abgestellt hat.
Von der Wiese weht das unentwegte Blöken einer Schafsherde herüber. Die flache Landschaft am Außendeich erinnert ein wenig an die frühere Halligwelt. Der Himmel darüber ist mit einem diffusen Schleier überzogen. Der Oberkommissar öffnet den Wagen mit einem Klick auf den Schlüssel. Silvia Haman will gerade einsteigen, da sieht sie gegenüber einen hageren Mann mit einem Stapel brauner Mappen unter dem Arm den Weg zur Kirche hinaufschlurfen. Obwohl sie nur seinen Rücken sehen kann, weiß sie sofort, dass sie ihn kennt.
Das ist dieser Organist, der hier durch alle Kirchen Eiderstedts geistert, erinnert sie sich nach kurzem Nachdenken.
»Da drüben geht der Thiel«, sagt die Kriminalistin zu Mielke.
»Thiel? Dieser Organist?«
»Genau!«
»Ja und?«
»Ich will kurz mit ihm reden. Kommst du mit?«
»Nee, ich telefoniere kurz, wenn es dir recht ist?«
Ohne eine Antwort eilt Silvia Haman zur Kirche hinüber. Das Backsteingebäude steht auf einer hohen Warft und der alte Turm ist gespickt mit Mauerankern. Thiel ist bereits im Inneren verschwunden. Die Kirchentür ist offen und die Kriminalistin tritt vorsichtig ein. Ein feierliches Präludium empfängt ihre Ohren und die Abfolge von kleinteiligen Motiven flüstert, zischt und dröhnt durch das geduckte Kirchenschiff. Einen kurzen Moment ist sie von der sakralen Musik gebannt, schaut zum Altarbild, das ein Gemälde von Maria mit wallendem Haar und dem nackten Jesuskind zeigt, während Josef im Schatten seiner Frau steht. Nur das Kreuz mit dem goldenen Gekreuzigten davor stört Silvia Haman.
Nie kann eine Frau einfach mal für sich sprechen, denkt sie und klettert die schmale Treppe zur Empore hinauf. Finger und Füße des Organisten springen ruckartig über Tasten und Pedalen. Als er die Hauptkommissarin bemerkt, bricht die Musik mit einem langen Stöhnen in sich zusammen.
»Sie haben mich erschreckt«, sagt der Organist empört und schaut die Frau durch seine dicken Brillengläser argwöhnisch an. »Kennen wir uns?«
»Hauptkommissarin Silvia Haman von der Kripo in Husum, wir haben uns bis jetzt nur flüchtig gesehen.«
»Und weswegen schleichen Sie sich an mich heran, Frau Haman?«
»Als ich Sie in die Kirche gehen sah, hatte ich plötzlich die Idee Sie etwas zu fragen. Kennen Sie zufällig einen gewissen Hagedorn? Ich bin einmal bei Ermittlungen auf Herrn Hagedorn getroffen und weiß, dass er bis zur Rente hier Pastor in Westerhever gewesen ist.«
»Ludwig Hagedorn, ja, den habe ich noch kennengelernt. Che Guevara wurde er im Dorf heimlich genannt, wegen seines Vollbarts. Ein verrückter Typ und unentwegter Geschichtenerzähler.«
»Hat der zufällig auch mal etwas über ungewöhnliche Vorkommnisse in einem der Pastorate auf Eiderstedt erzählt?«
»Nee, nicht das ich wüsste … oder …,
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