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Eidernebel

Eidernebel

Titel: Eidernebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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Silvia Haman.
    »Entschuldigung, Herr Hagedorn, ich möchte Sie nur kurz etwas fragen«, würgt sie seinen aufkeimenden Redefluss ab. »Können Sie mir etwas über den Unglücksfall in der Oldensworter Kirche erzählen? Da soll ein Pastor tödlich verunglückt sein.«
    »Sie meinen Pastor Schnoor?«
    »Das weiß ich nicht. Ich kenne den Namen nicht«, antwortet die Hauptkommissarin.
    »Jens Schnoor, ich hab ihn ein paar Mal persönlich getroffen, als ich noch Pastor von Westerhever war. Der ist die Treppe von der Empore heruntergestürzt und hat sich das Genick gebrochen. Tragische Sache damals.«
    »Da soll aber irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein, haben Sie angeblich mal erzählt.«
    »Es gab damals so merkwürdige Gerüchte.«
    »Und? Was waren das für Gerüchte?«
    »Also seine Frau … seine zweite Frau. Seine erste Frau war früh an Krebs gestorben. Also … seine Frau soll auch mit auf der Empore gewesen sein. Und da gab es das Gerücht, dass sie vielleicht nachgeholfen hat, ihm einen Stoß gegeben hat.«
    »Gab es keine polizeiliche Untersuchung?«
    »Doch, als unter der Hand gemunkelt wurde, der kleine Junge aus erster Ehe würde überall herumerzählen, seine neue Mutter hätte den Vater geschubst, leitete die Kripo ein Ermittlungsverfahren ein. Sie haben mit dem Kind gesprochen, die Stiefmutter wurde mehrmals verhört, doch es kam nichts Verdächtiges dabei heraus. Am Ende hat man die ganze Sache als einen Unglücksfall eingestuft.«
    »Wissen Sie noch, was aus dem Sohn geworden ist?«
    »Nein, aber ich glaube, der wohnt nicht mehr auf Eiderstedt. Soll, wie es damals hieß, einige Jahre danach in die Stadt gezogen sein. Aber mehr weiß ich auch nicht darüber, wie gesagt, war alles sehr tragisch!«
     
    *
     
    Die letzten Wochen haben ihre Spuren auf den Gesichtern der Frauen und Männer der SOKO Kirche hinterlassen. Der wenige Schlaf hat bei den meisten dunkle Schatten um die Augen gezeichnet. Auch an diesem Morgen schleichen alle eher aus der Frühbesprechung, als dass sie gehen würden. Selbst Swensens ruhige Haltung hat sich über das Jahr, in dem es zu keinen Ergebnissen gekommen ist, aufgerieben. Er ist gereizt und selbst seine Gedanken, die sonst in der freien Zeit die Fälle noch einmal durchgehen, um nach übersehenen Details zu fahnden, sind von der Erfolglosigkeit ihrer Arbeit wie betäubt.
    Ein Serientäter entzieht sich jeder vernünftigen Überlegung, grübelt er. Je mehr man bemüht ist, rational zu bleiben, umso mehr verbirgt sich jede Erklärung nach einem nachvollziehbaren, ja natürlichen Kern dessen, was den Täter da draußen antreibt. Was ist sein Motiv? Woher kommt diese maßlose Grausamkeit? Wie kommt so etwas nur in die Welt?
    Swensen betritt sein Büro, fährt den Computer hoch und starrt auf den Bildschirm. Während die Programme geladen werden, sieht er sich plötzlich in der ersten Reihe der Witzworter Kirche auf der Holzbank sitzen. An einem Morgen vor circa einem Monat war er vor der Fahrt zur Arbeit noch einmal allein in das Gotteshaus gegangen, um den Schnitzaltar in aller Stille in sich aufzunehmen. Da hatte er sie wiederentdeckt, die kleine geflügelte Teufelsgestalt mit den gekreuzten Beinen, die listig hinter den Pflanzenranken hervorlugt.
    Die Kirche hat ihre Antwort auf die Frage nach dem Bösen in der Welt bereits gefunden: Es ist Satan, der schwefelstinkende Sündenbock, der dafür stets zur Verfügung steht. Mal erscheint er als verführerische Schlange, mal als Drache mit den sieben Köpfen und zehn Hörnern, mal ist er nur der Ziegenbock mit spitzen Ohren und Hinkefuß.
    ›Ich bin der Geist, der stets verneint!‹, schrieb Goethe, ›Und das mit Recht, denn alles, was entsteht, ist wert, daß es zugrunde geht.‹
    Ja, wer den Teufel ruft und wer sich mit ihm einlässt, der ist nicht mehr Herr seiner Sinne. Und in Zeiten, in denen wir nicht mehr weiterwissen, da spukt er selbst in den Köpfen ratloser Kripobeamter herum. Da, wo wir uns nichts mehr erklären können, ist Beelzebub schon zur Stelle. Er soll der Dämon sein, der auch einen Serientäter antreibt.
    Nein, widersetzt sich eine innere Stimme in Swensen.
    Geben wir diesen einfachen Gedanken erst einmal Platz, hat der Höllenfürst bereits gewonnen. Dann wird das Böse zu einer fremden Macht erklärt, die von uns nicht mehr beeinflussbar ist, mit der wir selbst nichts zu tun haben. Wir geben uns damit selbst die Absolution und waschen unsere Hände wie Pilatus in Unschuld.
     
    Auslöser

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