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Eidernebel

Eidernebel

Titel: Eidernebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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Geschoss, er zuckt innerlich zusammen und erstarrt in seinem Schreck. Über eine Minute bringt er keinen Ton heraus, sieht plötzlich das Foto auf dem Schreibtisch des Kollegen vor Augen. Er tastet nach Worten wie nach einem Strohhalm.
    »Das Foto von der jungen Frau auf deinem Schreibtisch, ist das deine Mutter?«
    »Ich hab es vor zwei Tagen hingestellt, genau an dem Tag, an dem es vor 33 Jahre passiert ist.«
    »Was ist denn passiert?«
    »Meine Mutter war auf der Sparkasse und wollte Geld abheben, da ist ein Mann mit einer Waffe hereingestürmt. Als der Kassierer ihm nichts geben wollte, hat er um sich geschossen und ein Querschläger hat meine Mutter getroffen.«
    »Wie alt warst du da?«
    »Sechs Jahre«, flüstert der Oberkommissar und Swensen sieht, wie seine Augen feucht werden.
    »Das tut mir schrecklich leid, Rudolf.«
    Das Gespräch erstickt. Swensen hat das Gefühl, dass alles, was er sagen könnte, verkehrt wäre, und er ist froh, dass auch Jacobsen stumm bleibt. Am Horizont in der Ferne kommt das Hochhaus von St. Peter in Sicht. Die Nachmittagssonne brennt sich durch den grauen Dunsthimmel. Hinter Tating biegt Jacobsen links ab, fährt über den unbeschrankten Bahnübergang der Nord-Ostsee-Bahn von St. Peter nach Husum und kommt wenig später durch die Baumallee vor St. Peter-Böhl. Keine fünf Minuten später, nachdem der Dienstwagen abermals die Bahnstrecke kreuzen musste, parkt der Oberkommissar vor der Libo-Filiale ein. Die beiden Beamten gehen eilig auf die Glastüren am Eingang zu. Daneben sitzt ein älterer Mann und verkauft die Obdachlosenzeitung Hempels. Über ihn gebeugt steht ein jungdynamischer Mann, perfekt gekleidet, mit kantigem Gesicht und pomadig nach hinten gekämmten schwarzen Haaren.
    »Ich sage das nicht noch ein zweites Mal, dass diese Zeitschrift hier nicht verkauft wird. Das ist Privatgelände hier! Also, mach, dass du wegkommst!«
    Swensen flattern die Wortfetzen ins Ohr und er stutzt.
    Den kennst du doch! Zernitz, genau, Peter Zernitz, der Gebietszentralleiter. Der ist doch nicht zufällig hier.
    »Sie sollten sich lieber um ihre vermisste Angestellte kümmern«, sagt der Hauptkommissar mit süffisanter Stimme, während er Zernitz dicht auf die Pelle rückt.
    Der Angesprochene reißt den Kopf herum, wobei sein Blick an Jacobsen hängen bleibt, der im Eingangsbereich stehen geblieben ist.
    »Wer sind Sie denn?«, pflaumt er den Oberkommissar an.
    »Das ist Oberkommissar Jacobsen und ich bin Hauptkommissar Swensen, Herr Zernitz, Kripo Husum«, sagt er betont deutlich, worauf Zernitz ihn endlich entdeckt.
    »Libo hat nicht das Geringste mit dieser verschwundenen Frau zu tun!«, geht der Gebietszentralleiter sofort auf Abwehr.
    »Dieser? Die Frau hat einen Namen!«
    »Was wollen Sie?«
    »Mich interessiert sehr, ob Frau Ebsen einen Betriebsrat gründen wollte.«
    »Wie kommen Sie denn darauf?«
    »Das ist eine naheliegende Idee, Herr Zernitz. Und glauben Sie mir, wenn sich das bestätigen sollte, gehe ich davon aus, dass Sie das vorher gewusst haben.«
    »Na und! Frau Ebsen gehörte zu diesen typischen Querulantinnen, die sich nicht in unser Unternehmen einfügen wollen.«
    »Sie reden schon in der Vergangenheitsform!«
    »Quatsch, das ist mir nur so herausgerutscht.«
    »Und weil Frau Ebsen weg ist, sind Sie doch sicher hier?«
    »Ich bin schließlich der Gebietszentralleiter, ich muss mich darum kümmern, dass hier alles in geordneten Bahnen weiterläuft. Wenn die Journalisten erst Wind von der Sache bekommen, werden die uns die Türen einrennen. Davor werden wir uns zu schützen wissen.«
    »Immer frei nach dem Motto: Wer eine Libo-Filiale betritt, verlässt die freiheitlich demokratische Grundordnung?«
     
    *
    »Hauptkommissarin Silvia Haman, Kripo Husum. Herr Alberts, Sie sind nicht bei dem Speicheltest in Witzwort erschienen!«
    »Richtig, ich halte nichts von vorauseilendem Gehorsam. Was weiß ich, was Sie mit meinen Daten hinterher alles machen«, knurrt der Mann zwischen den Zähnen, während er mit verschmierten Fingern den Schlüssel an der Ölablassschraube seines Traktors ansetzt. »Außerdem habe ich garantiert niemanden umgebracht.«
    »Das glaube ich Ihnen gerne, aber Ihre Versicherung allein genügt uns leider nicht, Herr Alberts.«
    »So? Was würde Ihnen denn genügen?«
    »Wenn Sie mir zum Beispiel sagen würden, wo Sie am 21. Februar, am 26. April und am 30. Juli waren.«
    »Wir haben November, woher soll ich noch wissen, was ich am 21. Februar gemacht

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