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Eidernebel

Eidernebel

Titel: Eidernebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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schön, oder tanzen. Und wenn ich richtig fit bin, wieder in meiner Tanzschule arbeiten.«
    »Und jetzt, Frau Blau? Gibt es im Moment einen Wunsch, den ich Ihnen erfühlen kann?«
    »Wenn Sie mich so fragen, Herr Professor, ich würde jetzt am liebsten ein riesiges Glas mit Cola trinken!«
    Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, war sie über sich selbst verblüfft gewesen. Solange sie sich zurück erinnern konnte, war gerade Cola ein Getränk, das sie immer verabscheut hatte. Aber so verrückt es auch war, genau in diesem Augenblick verspürte sie ein unbändiges Verlangen auf genau dieses zuckersüße Getränk, nichts auf der Welt, nur dieser prickelnde Geschmack würde ihren Durst im Moment löschen können.
     
    *
     
    Das bleiche Mädchen liegt auf der silberschimmernden Aluminiumplatte, in der sich mittig unter ihrem Rücken eine Ablauffuge entlangzieht. Sie hat ihre persönlichen Daten dabei, am großen Zeh des rechten Fußes hängt eine Pappkarte, auf der mit blauem Filzstift notiert wurde: ›1,79/78,9‹, Größe und Gewicht. Als Swensen in den Sektionssaal tritt, muss er zweimal hinschauen, bevor er die Tote aus der vergangenen Nacht im grellen Neonlicht wiedererkennt. Sie ist nackt und gewaschen und selbst die Wundmale haben etwas Unwirkliches angenommen. Zumindest ist ihre Identität seit dem frühen Morgen geklärt, sie heißt Andrea Goldschmidt, ist 18 Jahre alt und Schülerin aus Oldenswort. Die Eltern hatten die junge Frau bei der Polizei als vermisst gemeldet und auf einem Foto die Tote als ihre Tochter identifiziert.
    Der Hauptkommissar sieht beklommen auf den mit Wunden übersäten Körper. Eine frisch vernähte, leicht bogenförmige Narbe geht quer von Schulter zu Schulter und führt zentral abwärts zum Schambein. Die Kleidung, in Plastiktüten verstaut, steht am Fußende. Jürgen Riemschneider, der Gerichtsmediziner aus Kiel, schaltet gerade sein Diktiergerät aus, das an einer Apparatur direkt vor seinem Mund hängt und mit dem Kinn bedient werden kann. Eine Sonderanfertigung des LKA, damit man es nicht mit seinen Händen bedienen muss. Riemschneider streift, jeweils von einem Knall begleitet, die Latexhandschuhe von den Händen und nimmt den Mundschutz ab.
    »Hallo, Jürgen, machst du das hier heute allein?«, fragt Swensen den Mann im grünen Kittel.
    »Um Gottes willen, nein!«, begrüßt der den Kommissar von Weitem. »Pinocchio … äh Markgraf ist mit der Assistentin gerade eben zum Mittag abgeschwirrt. Mensch, Jan, wir treffen uns wohl immer nur, wenn es bei euch in Husum eine Leiche gibt!«
    »So ist es Jürgen! Und ich frage mich jedes Mal, wenn ich dich sehe, wie man freiwillig Gerichtsmediziner werden kann?«
    »Man muss im wahrsten Sinne durch den Menschen hindurchsehen und sich um Gottes willen nicht die Schicksale zu eigen machen. Außerdem hat meine Frau den gleichen Beruf, da nimmt man die Sache sowieso mit Witz und Humor«, antwortet Riemschneider und sein Gesicht nimmt etwas Spitzbübisches an. »Kennst du den? Was kriegt ein Rechtsmediziner von seiner Frau zum 31. Geburtstag?«
    Swensen sieht den Rechtsmediziner ungläubig an, der nach seiner Frage genussvoll eine Zäsur einlegt, bevor er grinsend selbst die Antwort liefert: »Ganz einfach, eine Leiche mit 31 Messerstichen!«
    Während der Mediziner noch in sich hineinkichert, zieht der Hauptkommissar die Augenbrauen hoch. »Das ist überhaupt nicht witzig, Jürgen!«
    »Komm, ein bisschen Spaß muss sein, Jan! Doch bevor du vollends zum Spielverderber wirst, sage ich dir, was ich bis jetzt schon weiß. Also, in diesem Fall haben wir es mit sechs Messerstichen zu tun. Wenn du mich fragst, da hat jemand eine richtige Wut gehabt. Vier Stiche in der linken Unterschlüsselbein-Region, zwei in den Abdomen. Zwei Stiche waren sofort tödlich. Das Tatmesser ist circa 15 Zentimeter lang und hat eine schmale, spitze Klinge.«
    »Irgendetwas Auffälliges?«
    »Die Jugendliche hat sich nicht gewehrt, es gibt keine Abwehrspuren an den Extremitäten.«
    »Ja, das haben wir auch schon bemerkt.«
    »Vielleicht war sie weggetreten. Im Blut waren aber nur 0,3 Promille Alkohol festzustellen. Für Hinweise auf Drogen müsst ihr euch bis nach der toxikologischen Untersuchung gedulden.«
    »Anzeichen für einen Vergewaltigungsversuch?
    »Nein, nichts! An der Leiche gibt es keine Spermaspuren.«
    »Das war alles, was du rausbekommen hast?«
    »Richtig! Aber deswegen bist du doch nicht extra hergekommen, da wäre mein Bericht ausreichend

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