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Eidernebel

Eidernebel

Titel: Eidernebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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in deinem Sinne?«
    »Selbstverständlich, klar! Ich möchte unter allen Umständen auf dem Laufenden gehalten werden, ich hoffe, das war deutlich genug, Jan!«
    »Versprochen! Ich würde jetzt gerne ins Bett, Heinz. Ich bin todmüde!«
    »Okay, bis dann! Und gute Nacht!«
    »Ja, dir auch eine gute Nacht!«
    »Ich für meinen Teil bin gerade aufgestanden, bis dann, Jan!«
    Swensen steht mit dem Handy in der Hand und blickt auf sein Abbild im schwarzen Spiegel des Küchenfensters. Doch er kann es nicht erfassen, sieht durch sich hindurch auf die Kirchenbank mit dem toten Mädchen. Die offenen Augen sehen ihn erstaunt an. Nein, nicht erstaunt, sie haben einen gelassenen Eindruck gemacht, als hätten sie nicht eben noch einem Mörder ins Gesicht geblickt. Das Bild ist real, bedrohlich. Der Hauptkommissar schreckt zurück, wendet sich abrupt von seinem Spiegelbild ab, flüchtet ins Schlafzimmer, wo er Annas Atem hört, der meditative Rhythmus des Ein- und Ausatmens, der ihm langsam seinen Anflug von Panik nimmt.
     
    *
     
    Da ist wieder etwas in ihrer Nähe, schleicht sich heran. Ihr Blick irrt in alle vier Himmelsrichtungen. Das Etwas bleibt unsichtbar wie ein Windhauch, dessen Vorhandensein nur spürbar wird, wenn er über die Haut fließt. An ihren Armen richten sich die Härchen auf, doch es ist kein Wind. Sie hastet über einen schmalen Trampelpfad, der sich schnurgerade über die Deichkrone zieht. Er geht, soweit sie blicken kann, an einem Fluss entlang. Der Himmel ist wolkenlos blau, es scheint ein warmer Sommertag zu sein. Sie friert trotzdem, obwohl sie einen Schritt vor den anderen setzt. Jetzt ist es ganz nah, dieses Etwas. Sie reißt den Kopf herum, das Etwas schaut sie an. Ein körperloses Wesen steht ihr gegenüber. Voller Panik beginnt sie zu laufen, aber es ist ihr auf den Fersen, wird größer, präsenter. Dann packt es ihren Nacken. Von oben stürzt eine unbändige Gewalt auf sie herab, teilt lautlos die Luft und ein harter Schlag trifft mit voller Wucht ihren Kopf. Der Schädelknochen knackt dumpf, als würde er zerspringen. Ein fürchterlicher Schmerz quillt zähflüssig aus den Ritzen. Ihre Hände greifen danach, wollen die Qual stoppen, doch zwischen ihren Fingern bahnt sich eine glühende Lava ihren Weg, färbt die Haut dunkelrot. Sie schreit aus Leibeskräften, schreit sich die Angst aus der Seele, schreit und schreit.
    Lisa Blau wird von ihrem eigenen Schrei geweckt, der ihre Augenlider aufklappen und sie ins Schwarz des Zimmers blicken lässt. Sie realisiert, dass sie völlig verkrampft, mit angezogenen Beinen im Bett sitzt und am ganzen Leib zittert, spürt gleichzeitig ihren weit aufgerissenen Mund, aus dem ein markerschütternder Schrei dringt. Dann herrscht unheimliche Stille, Totenstille. Sie greift sich an die Brust, das Nachthemd ist nass vom Schweiß. Es braucht einen Moment, bis ihr Körper sich an den gefahrlosen Zustand gewöhnt. Trotzdem bleibt eine abgrundtiefe Angst, die wie ein Herbststurm aus dem Jenseits durch ihren Kopf tobt, alle aufkommenden Gedanken mit sich fortreißt und sie weiterhin bewegungslos bleiben lässt. Ihr ist, als rückten die Wände ihres Zimmers immer enger zusammen, als würde ihr der letzte sichere Platz streitig gemacht. Es ist dasselbe Gefühl wie damals, kurz nachdem sie aus der Narkose erwacht war.
    »Lisa, aufwachen! Es ist vorbei, Lisa!«
    Sie erwachte in einem Gewirr von Stimmen, hörte immer wieder jemanden ihren Namen sagen, lauter und immer lauter. Bin ich in der Welt oder im Himmel?, war ihr erster Gedanke gewesen. Sie wollte etwas fragen, brachte aber keinen Ton heraus. Ein Beatmungsschlauch steckte in ihrer Luftröhre.
    »Die Operation ist gut verlaufen«, sagte eine Schwester, »es ist alles in Ordnung.«
    Tränen sickerten aus ihren Augen. »Danke!«, murmelte sie innerlich und fiel erneut ins Nichts zurück. Stunden waren vergangen, als sie wieder erwachte, schweißnass. Der Beatmungsschlauch war entfernt worden und sie war nicht bei sich, schrie und schlug wild mit den Armen in der Luft herum. Mehrere Männer in grünen Kitteln waren ihr auf den Leib gerückt, hatten im Bereich der Halsschlagader einen Zugang gelegt und führten gerade die Biopsiezange ein, um eine Gewebeprobe von ihrem neuen Organ zu nehmen. Professor Rollesch verfolgte den Vorgang auf dem Monitor. Sie spürte, wie ihr Herz zu rasen begann, konnte die Schläge über die Apparate hüpfen sehen. Eine Ampulle Valium schickte sie ins Nichts zurück und ein rasselndes

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