Eidernebel
Sie mir bitte!«
Rösener geht hinter dem Nadelstreifen her, der ihn mit einer Chipkarte durch eine Schleuse führt. Wenig später stehen sie im Fahrstuhl und steigen im 15. Stock wieder aus. Es geht an drei Uhren vorbei, die das Foyer zieren, New York: 9:26 Uhr. Tokio: 22:26 Uhr. Hamburg: 15:26 Uhr. Das riesige Büro, in das Drenkhahn den Besucher bringt, ist sonnendurchflutet. Ein breites Plexiglasbord steht hinter einer Sitzgruppe aus dem gleichen Material. Der Schreibtisch ist dagegen aus fast schwarzem Holz. An der Fensterfront steht ein Hüne von Mann, der selbst Röseners Nadelstreifenbegleiter noch überragt. Abgewandt beobachtet er den Hafen, der sich vor ihm ausbreitet.
»Das ist die Santiago «, entziffert er, legt ein elegantes Fernglas auf den Schreibtisch zurück und nimmt seine Tasse.
»Grüner Tee, sehr gesund! Möchten Sie auch eine Tasse, Herr Rösener?«
»Kaffee wäre mir lieber«, entgegnet Rösener und mustert den Mann mit dem markanten Gesicht und dem leicht ergrauten, schütteren Haar unauffällig. »Wenn es nicht zu viel Mühe macht.«
»Das ist unser Vorstandvorsitzender Dr. Kreienbaum«, flüstert der Begleiter, während der Mann auf eine Sprechanlage drückt und die Anweisung gibt, Kaffee und noch eine Kanne grünen Tee zu bringen. Nachdem alle in der Sitzgruppe Platz genommen haben, wird Kreienbaum gesprächiger.
»Sie wurden mir wärmstens von einem Unternehmer aus Husum empfohlen. Reden wir also nicht um den heißen Brei herum. Der Libo-Konzern hat im Moment gewisse Probleme in seinem Betriebsabläufen, die wir so schnell wie möglich in den Griff bekommen müssen.«
Kreienbaum verstummt, als die Sekretärin mit den Getränken hereinkommt und fährt erst fort, nachdem sie wieder aus der Tür ist.
»Jede unserer Filialen hat im Schnitt zwölf Beschäftigte. Das ist von uns wohlüberlegt. Ein Betriebsrat könnte dadurch nur aus einer Person bestehen, was daher natürlich kaum jemand auf sich nimmt. Allerdings gibt es momentan im Norden, besonders in der Region Eiderstedt, Bestrebungen, trotzdem einen Betriebsrat zu installieren. Das möchten wir gleich im Keim ersticken. Wir brauchen die Namen der Personen, die unsere Belegschaft aufwiegeln, und wir brauchen ein genaues Persönlichkeitsprofil von jenen Mitarbeiterinnen, die sich aufwiegeln lassen. Können Sie sich so einen Auftrag vorstellen?«
»Ich wurde Ihnen empfohlen«, versichert Rösener. »Geben Sie mir genaue Instruktionen und ich erledige diesen Job zu Ihrer vollsten Zufriedenheit.«
»Dann sind wir uns einig«, stellt der Hüne fest. »Noch eins, der Auftrag erfordert höchste Diskretion. Ihre Protokolle dürfen keinen Hinweis auf den Vorstand dieses Hauses enthalten. Ab jetzt ist Herr Drenkhahn ihr Ansprechpartner, nur er. Sie dürfen unter keinen Umständen hier anrufen oder irgendwelche elektronischen Nachrichten an unsere Hauptzentrale abschicken. Es gibt nur den persönlichen Kontakt über Herrn Drenkhahn. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, Herr Drenkhahn wird alles Weitere mit Ihnen besprechen.«
Der Hüne steht auf, begibt sich zu seinem Schreibtisch, greift nach dem Fernglas und stellt sich an seine alte Position an der Fensterfront. Drenkhahn macht eine Handbewegung, ihm zu folgen, und Rösener trottet brav hinter ihm her zum Fahrstuhl. Zwei Stockwerke tiefer geht es über einen langen Flur in ein vergleichsweise kleines Büro. Der Nadelstreifen ist hier plötzlich wie verwandelt. Er ist nicht mehr stocksteif, sondern schmeißt sich locker auf seinen Drehstuhl hinter dem Schreibtisch, Rösener nimmt auf dem Stuhl davor Platz.
»Es geht in der ersten Phase um unsere Filialen in Friedrichstadt, Husum, Tönning, St. Peter, Norderstapel und Breklum. Ich werde mit den Leitern der Märkte Kontakt aufnehmen und Sie ankündigen«, erklärt Drenkhahn mit markiger Stimme und setzt ein spitzbübisches Lächeln auf. »Wir wollen ja nicht, dass sie sich extra Nachschlüssel anfertigen müssen, um bei uns reinzukommen.«
»Ich komm auch ohne Nachschlüssel überall rein, Herr Drenkhahn.«
»Ohne Nachschlüssel? Sie benutzen kein spezielles Gießmetall?«
»Das ist was für den Hausgebrauch, für kleine Amateurganoven. Ich bin Profi! Ich habe mein eigenes Werkzeug.«
»Das werden Sie bei uns nicht brauchen. Die Filialleiter werden Sie in die Örtlichkeiten einweisen. Natürlich weiß keiner von denen etwas über ihren wirklichen Auftrag. Sie werden glauben, es geht nur um die übliche Diebstahlüberwachung. Die
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