Eidernebel
bereuen das, Commissario!«, jubelt der Chef vom Dante.
»Und ich nehme die Pasta con Pesto alla genovese«, bestellt der Hauptkommissar.
»Ich bitte den grünen Spargelflan mit Garnelen«, schließt Anna sich an.
»Mi affretto! Ich schon unterwegs«, frohlockt Bruno und eilt davon.
»Du siehst nachdenklich aus«, stellt Anna fest, als sie allein sind. »Die Mordfälle?«
»Nun ja, wir kommen nicht wirklich voran. Keiner hat eine zündende Idee, was zu machen ist. Hier eine Spur, da eine Spur, doch keine wird richtig heiß. Seit Monaten laufen sich alle in der SOKO die Hacken ab und wir sind trotzdem keinen Schritt weiter. Manchmal glaube ich, Colditz und der Chef warten auf den nächsten Mord, weil sie darauf hoffen, dass der Täter endlich einen Fehler macht.«
»Das hört sich schrecklich an, Jan, das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Bei der Kripo gehört das Schreckliche zum Alltag.«
»Du bist auch noch etwas anderes als Polizist, oder?«
»Stimmt. Buddha soll einmal gesagt haben: ›Bist du nicht an der Hand verletzt, kannst du auch Gift anfassen, ohne dass es dir schadet.‹«
»Ein kluger Satz. Und wie sieht es sonst bei dir aus? Du hast lange kein Wort mehr über deine Angst verloren, die du am Anfang hattest.«
»Ich glaube, das Laufen, zu dem du mir geraten hast, tut mir sehr gut. Diese Angst vor der Angst ist beinahe verschwunden. Und bei dir? Ich habe mich gefragt, wie es dir eigentlich damit geht, dass letztes Jahr eine deiner Klientinnen ermordet wurde?«
»Eine schmerzliche Erfahrung. Wir waren mitten in der Therapie, plötzlich war sie nicht mehr da und alles war offen. Du weißt, ich war auf der Beerdigung, aber … Ich hatte danach nicht das Gefühl, dass es wirklich abgeschlossen war.«
»Und später? Ist das so geblieben?«
»Nun, ich hab mir noch mal die Zeit genommen, alle Notizen unserer Sitzungen durchzulesen. Danach habe ich einen Abschiedsbrief geschrieben und in einem persönlichen Ritual verbrannt. Die Trauer ist dadurch natürlich nicht weg.«
»Ein Ritual? Wie hast du das gemacht?«
»Eine Kerze angezündet … und dabei der Person gedankt, beispielsweise.«
»Im Prinzip müssten wir eigentlich auch so etwas machen«, sagt Swensen nachdenklich, »kommt mir gerade so in den Sinn.«
»Wir? Wer ist ›wir‹?«
»Wir Kripobeamte. Unsere Toten bleiben bei der Ermittlung ja nicht unpersönlich, auch wenn wir innerlich so mit ihnen umgehen.«
»Da hast du recht, wo bleibt ihr mit euren Gefühlen?«
»Wir sprechen nicht drüber. Ich fürchte, wenn ich von irgendwelchen Ritualen für unsere Ermordeten reden würde, käme ich endgültig in die Spinnerschublade.«
»Vielleicht wäre es einen Versuch wert.«
»Nein, ich glaube nicht. Die Zeit ist noch nicht reif.«
»Schade!«
Bruno bringt den Wein und kommt wenig später mit dem Essen. Beide genießen das Ritual, achtsam zu essen und dabei nicht zu sprechen. Swensen lässt sich von dem Geschmack verführen, spürt einen Hauch von Pinienkernen, Basilikum, Knoblauch und Parmesan auf der Zunge.
Komisch, ein Candle-Light-Dinner würde niemand als rituellen Spleen einordnen, denkt er.
Der Klingelton des Handys in seiner Jackentasche klingt wie das Sirren eines Insekts, das in der vollkommenen Ruhe einer Sommernacht die Stille bedroht. Anna Diete wirft dem Hauptkommissar einen ärgerlichen Blick zu, doch der ignoriert ihn und holt wortlos sein Gerät hervor. Der nächste Klingelton schrillt ungedämmt in den Raum.
»Swensen hier!«, meldet er sich und Anna ahnt bei der scharfen Frage »Wo?« sofort, dass ihr obligatorisches Freitagabendessen jetzt als beendet betrachtet werden kann. Mit einem »Ich komme sofort« beendet Swensen das Gespräch. Sein Gesichtsausdruck kann den Schrecken nicht verbergen.
»Was ist passiert?«, fragt Anna Swensen, obwohl sie bereits weiß, was er sagen wird.
»Ich muss noch mal los. Es ist erneut eine tote Frau gefunden worden.«
»Oh Gott, wie schrecklich!«
»Tut mir leid, Anna«, entschuldigt er sich. »Die Kollegen sind schon alle auf dem Weg.«
»Wo musst du hin?«
»Nach Uelvesbüll, St.-Nikolai-Kirche. Du brauchst nicht auf mich zu warten heute Abend.«
Swensen nimmt Annas Hand, drückt sie kurz, steht auf und informiert Bruno, bevor er das Dante verlässt. Fünf Minuten später sitzt der Hauptkommissar im Taxi, das er in der Norderstraße gegenüber der Post bekommen hat, und fährt in Richtung B 5 aus der Stadt. Die Nacht starrt schwarz durch die Frontscheibe, nur die
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