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Eidernebel

Eidernebel

Titel: Eidernebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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verschlossen. Scheint so, als wäre der Täter nicht hineingekommen.«
    »Habt ihr Papiere gefunden, gibt es einen Namen?«
    »Nein, wir haben nichts gefunden. Außerdem ist noch etwas anders, als bei unseren Fällen davor. Die Frau hat mit Sicherheit nicht mehr gelebt, hat mir der Doc schon bestätigt, sie war bereits tot, bevor sie hier hergeschafft wurde. Der Täter hat sie in eine Plane eingerollt und bis vor die Kirchentür geschleift.«
     
    *
    Sie war für immer eingebrannt, die Doktrin der guten Mutter, auf seiner Stirn, sichtbar für den Rest der Welt, das ewige Kainszeichen des bösen Sohnes. So hat sie es geplant, das Muttermonstrum, so perfide war ihre Strategie.
    Der Sohn war keine Person, er war nur ein Sachverhalt, erniedrigt zu einer dritten Persona non grata, zum Faktum Sohn. In deiner Gedankenmühle wurde sein Ich zermalmt, zusammengequetscht, im Mahlwerk deiner Worte klein geschrotet. Nur wenn er zu Staub geworden war, Staub seiner selbst, traute sie sich, sich ihm zu Füßen zu werfen. Alles, was an ihm lebendig wurde, was ihrer Kontrolle zu entgleiten drohte, wurde in aller Nüchternheit von ihr seziert, in Stücke geschnitten, abgetrennt, tot gemacht.
    Sie war das unaussprechliche Grauen seiner Jugend, das Muttermesser, Schnitt für Schnitt, verletzt unter ihrem kalten Blick, scharf und spitz, aufgeschlitzt von Worten.
    Auf dich hat die Welt gerade noch gewartet, du kleiner Bastard!
    Du bist und bleibst ein Nichts!
    Der Sohn war das ausgesuchte Opfer, die Geisel einer Meuchlerin, ein Gefangener seiner Jugend. Es war keine singuläre Erfahrung. Du Furie. Du hast dich an dem Sohn ausgetobt. Du hast dem Sohn die Seele amputiert, sie behindert gemacht. Deine Taten waren nie banal, sie haben seine Gegenwart vereitelt, sie inhibierten ein Sich-ins-Leben-lassen. Die Seele kennt kein Welterleben, sie lebt außerhalb der Welt in einem Zwischenraum, im Exil der Gefühle. Seine Seele ist das Gefäß zum Bleigießen, voll mit dunklen Mutterfiguren, kleine Mutterteufel, Mutterdämonen, Vampire, Untote, zusammengestellt zur Gruppe der unterdrückten Angstschreie.
    Doch wo ist die Wut des Sohnes?
    Wo ist das Aufbegehren des Sohnes?
    Er will endlich leben, will sich dem Rausch hingeben, vom Erleben berauscht sein. Er will im Erleben sein Leben füllen, hinabsteigen in sich, seine Abgründe durchkämmen. Er will den Unterschied entdecken, den kleinen Unterschied zwischen Ursache und Wirkung, der die Katastrophe beschreibt, die in ihm tobt. Das Ultimatum läuft bereits und seine Forderungen sind unerfüllbar. Die Welt mag ihn nicht, und er will die Welt nicht. Er will sich, sein ICH, so wie sie, die Höllenmutter, ihn aus dem Himmel gestoßen hat. Jetzt ist die Hölle seine Welt. Er will stechen, schneiden, schlagen.
    Unsere Persönlichkeit dringt uns aus allen Poren!
    Wie bitte, Herr Freud?
    Was für eine fade Hermeneutik, Herr Seelendoktor!
    Erinnere dich nur an deine Mutter, du Quacksalber, bevor du die Welt mit Worten verbrennst. Du bist ein Sohn, ein Sohn, ein Sohn. Du bist ein Opfer, vergiss das nie.
     
    Die Hand erstarrt auf dem gerade gesetzten Punkt. Er kann nicht weiterschreiben, sein Kopf droht zu zerspringen, ein bohrender Schmerz zieht an beiden Schläfen nach innen. Unwillig legt er den Kugelschreiber zur Seite und überfliegt das Geschriebene. Es ist ihm fremd, scheint mit einem Mal keinen Sinn zu ergeben. Er kann nicht glauben, dass diese Worte gerade von ihm auf das Papier gebracht wurden.
    »Und es gab Engel im Himmel, die ihren hohen Rang missachteten«, hört er eine Stimme sprechen und sieht sich hinter dem Altar hocken, damals als kleiner Junge. Dort fühlte er sich sicher, solange der Gottesdienst dauerte. Hier konnte er ungestört den Worten lauschen, konnte sich von der vollen Bariton-Stimme einlullen lassen, als käme sie aus einer jenseitigen Welt, als würden die Worte nur für ihn ganz allein gesprochen.
    »Und im Himmel war auch der Erzengel Luzifer, Phosphoros, der Lichtträger, der seine Vortrefflichkeit schlecht gebrauchte und nicht in der Wahrheit stand, sondern von dem höchsten Gut abgefallen war. Da entbrannte ein Kampf im Himmel. Erzengel Michael und seine Engel erhoben sich, um mit dem Drachen zu kämpfen. Der Drache und seine Engel kämpften, aber sie konnten sich nicht halten und sie verloren ihren Platz im Himmel. Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt. Der Drache wurde auf die Erde gestürzt

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