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Eiertanz: Roman (German Edition)

Eiertanz: Roman (German Edition)

Titel: Eiertanz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Brendler
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ich nicht ganz so naiv sei, wie er denke, tastete nach dem Telefon in meiner Rocktasche, tippte ihre Nummer. Es klingelte fünf Mal, und ich erwartete, dass die Stimme der Mailbox sich melden würde, aber im Bruchteil jener Sekunde, bevor der fünfte Ton verstummte, nahm sie ab. Sie klang gehetzt, außer Atem.
    »Was ist?«
    »Das fragst du mich? Du wolltest doch kommen.«
    »Ja, ich … ich komme gleich. Ich bin noch … äh … aufgehalten worden.«
    »Gina? Bitte lass mich rein, nur einen Moment.« Quirin, vor dem Fenster.
    »Wenn es dir um deinen Bademantel geht …«
    »Nein! Kreizkruzifix! Es geht nicht um den damischen Bademantel!«
    »Gina? Was ist denn bei dir los?«, fragte Christiane. Das Gleiche hätte ich sie auch fragen können. Im Hintergrund hörte ich Musik, eine langsame, schwüle Musik, die mir bekannt vorkam, vielleicht aus einem Film. Geraschel, dann lachte Christiane auf, um das Lachen gleich darauf zu ersticken, als wäre es ihr entfahren wie ein versehentlicher Darmwind.
    »Chris? Wo bist du? Was ist das für eine Musik bei dir?«
    »Musik? Was meinst du?« Rascheln, diesmal gelang es ihr nicht, das Mikrofon mit der Hand abzudecken, ich hörte, wie die Musik erst lauter wurde, brüllend laut, eine hohe Frauenstimme, die etwas auf Französisch sang, das wie »schewäschewä« klang, dann abrupt stoppte.
    »Ach so, das«, sagte meine Chefin. »Das ist, äh … das läuft hier im Fahrstuhl. Vom Beerdigungsinstitut. Ich fahr gerade runter. Also, was ist jetzt? Bist du noch im Haus? Ist die Polizei gekommen?« Das Stimmengewirr draußen war angeschwollen, fremde Stimmen hatten sich darunter gemischt. Therese rief, dass man sie, bitte schön, wegtragen solle, von allein gehe sie nicht, Quirin fing wieder mit seinen lächerlichen Forderungen an, ich solle rauskommen oder ihn hereinlassen.
    »Ich … ja, ich glaube, die Polizei ist da.«
    »Du glaubst?«
    »Äh … ich kann nichts sehen. Ich hab … na ja, Barrikaden aufgebaut.«
    »Übertreibst du da nicht ein wenig?«
    In diesem Moment kreischte Picco im großen Zimmer: »Brunza! Schau, dassd Land gwinnst, Depp, gschtinkata!« Etwas krachte gegen das Fenster, und ich stürmte nach drüben, stand einen Moment schwer atmend mitten im Raum. Nichts. Vorsichtig kletterte ich auf einen Stuhl, zog das Rouleau ein Stück hoch. Durch die zusätzliche Sicherung meiner Stuhlfront auf der Kommode sah ich ein pendelndes Seil, dann ein Paar Füße in Plastiksandalen. Und Julias Hand, verzweifelt winkend.
    »Komm sofort da runter!«, hörte ich, gedämpft durch die Scheibe. Über mir knirschte etwas, darauf ein verzweifelter Schrei, schon sauste er am Fenster vorbei, Lutz, ein gescheiterter Tarzan, er hielt die Liane immer noch fest in den Händen, ein Seil, das nicht mehr dort befestigt war, wo es befestigt zu sein hatte, ihm folgte ein Sonnenschirm, zunächst nur der obere Teil. Picco und ich warteten, erstarrt, in gemeinsamer Schicksalsergebenheit, aber der Betonfuß blieb aus. Aus dem Telefon, das ich in die Rocktasche gesteckt hatte, krächzte Christianes Stimme:
    »Gina? Gina? Bist du noch da? Was ist denn los?«
    »Es ist nur … Tarz… äh … Lutz. Er … ja.« Ich spähte durch die Stuhlbeine nach draußen. »Zum Glück, er scheint sich nichts gebrochen zu haben. Er steht schon wieder. Es war ja auch nicht hoch, er war erst kurz über dem Parterrefenster. Hmm, ich glaube, er ist dort hingefallen, wo die Brennnesseln wachsen … Na ja, die sind wenigstens weich.«
    »Was redest du da?«
    »Ich kann’s dir nicht … Komm einfach her.«
    »Ja, gleich«, sagte Christiane. Warum klang sie so verschlafen? Einen Moment hatte ich eine abwegige Vision: Christiane, mit Drogen betäubt, gefesselt im Fahrstuhl des Beerdigungsinstituts, malträtiert mit französischer Musik. Ich sah die Wände aus schwarzem Marmor, roch die dumpfe Luft und hörte die Atemzüge eines dämonischen Fahrstuhlführers, der sich über sie beugte.
    Ich hatte es mir nicht eingebildet, ich hörte tatsächlich Atemzüge, darauf Geraschel. Lachte jemand? Dann Christianes Stimme: »Vielleicht redest du mal mit den Polizisten. Das kann doch alles nicht so schwer sein.« Ich versprach es und legte auf.
    Ich hatte etwas zu tun. Noch bevor Julia und Lutz, beide im Schock, begriffen, dass dieses Fenster halbwegs zugänglich war. Hastig kritzelte ich »Der Ofen ist auf fünfzig Grad eingestellt. Ihr geht es gut!« mit Filzstift auf ein herumliegendes weißes Tischtuch, hielt es ins

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