Eiertanz: Roman (German Edition)
durch die Gasse, die Franzis Postkunden bereitwillig frei gemacht hatten. Dann fiel die Tür zu, mit einem Schlag, unter dem der ganze Raum zu schwanken schien wie ein Schiff bei hohem Seegang. Aber wahrscheinlich kam es nur mir so vor.
Mitten in der Nacht wachte ich auf. Mein Kopf dröhnte. Hinter dem Viereck des Fensters schimmerte es grau. Erste Vögel zwitscherten, schüchtern und fragend. Einen Moment wusste ich nicht, wo ich war. Dann krähte von fern ein Hahn. Aus dem Nebenzimmer antwortete etwas mit einem durchdringenden Flötenton. Und mir fiel alles wieder ein, was ich gern vergessen hätte. Der Ausgang des gestrigen Abends zum Beispiel.
Wann hatte der Raum angefangen, nicht nur zu schwanken, sondern sich auch zu drehen? Gleich, nachdem der Tanz losgegangen war?
Wie es überhaupt zum Tanz gekommen war, wusste ich nicht mehr, wusste nur noch, dass Franzi ihre Arme um Quirins Hals geschlungen hatte und beide sich in einer Art Stehblues wiegten, dass Franzi sich an ihn schmiegte, ihn ihren Helden nannte. Auch an das amüsierte Zucken seines Mundwinkels erinnerte ich mich, und hatte er mir nicht sogar einmal zugezwinkert? Als ich mit seinem Vater an ihm vorbeitanzte? Er hatte überraschend vor mir gestanden, sich mit einer kleinen Verbeugung als Hartl vorgestellt – etwa der Hartl, von dem die alte Burgl in der Nail-Art-Metzgerei gefaselt hatte? – und mich gefragt, ob ich tanzen wolle. Ohne die Antwort abzuwarten, half er mir galant beim Absteigen vom hohen Hocker, schob mich gleich darauf mit zierlichen, abgemessenen Schritten über die Tanzfläche. Er roch gut, nach Zitrone. Der Duft kam mir bekannt vor, woher nur, es fiel mir nicht ein. Was auch daran lag, dass Hartl mich so schwungvoll herumschwenkte, dass der Raum anfing zu kreisen. Neben uns kreischte Franzi: »Quirin, mei, i bin doch verlobt, du Hallodri!«, dann verstummte die Musik, und für zwei Sekunden erloschen die Lämpchen um uns herum.
»Schau dir die Leit genau o, bevorst deine Gschäfterl machst. Hosd mi?«, flüsterte Hartl, drückte meinen Arm und geleitete mich zurück zu meinem Barhocker. Den ich nicht mehr erklimmen konnte. Weil der Raum nicht mehr aufhörte zu rotieren. Ich versuchte, meinen Blick auf einen Punkt zu konzentrieren, wie man es bei Seekrankheit tut, aber alles verschwamm, auch der Boden befand sich nicht dort, wo ich ihn vermutete. Gerade noch schaffte ich es, mich an der Theke festzuhalten. Und meine Contenance so weit zu bewahren, dass ich zahlen konnte, wie mir schien, weit weniger Biere, als ich getrunken hatte, aber Nat Wildmoser winkte ab. In aller Liebenswürdigkeit verabschiedete ich mich von Hartl, Quirin und Franzi, auch für einen möglichst geraden Gang nach draußen reichte es noch. Dann allerdings verließ mich die Kraft.
Ich setzte mich auf eine Bierbank und starrte meinen Bus an. Auf dem Parkplatz standen nur noch wenige Autos, selbst wenn ich sie nur als verschwommene Flecken wahrnahm, würde ich ihnen ausweichen können, aber mir graute vor Bruce. Oder allein vor der Vorstellung, einen Schlüssel zuerst passgenau in ein Türschloss, dann in ein Zündschloss zu stecken.
Warum hatte Christiane mich mit einem alten Bus losgeschickt, der noch keine Fernbedienung für die Tür hatte? Warum hatte sie mich hier ausgesetzt und ließ mich allein? Was würde Mirko zu meinem Haarschnitt sagen? Warum saß ich hier wie ein Depp mit Paillettenkappe mitten auf einem Parkplatz und fühlte mich wie damals, als ich als Kind im Schwimmbad verlorengegangen war?
»Gina?« Eine Hand auf meiner Schulter. Warm. »Gibst mir den Schlüssel? Ich bring dich hoam.«
Es war dieses Wort, das meine Tränenschleusen öffnete. Plötzlich, für mich selbst ebenso überraschend wie für Quirin. Eine verlegene Weile stand er neben mir, während ich schluchzte und, leider, die Schwimmbadgeschichte erzählte: Wie ich aus dem Wasser gekommen war und unsere Familiendecke, die vertraute Insel auf der riesigen Grasfläche, nicht mehr gefunden hatte. Wie ich beim Bademeister abgegeben und ausgerufen worden war und bang gewartet hatte, ob sie mich wohl abholen oder die Gelegenheit nutzen würden, mich loszuwerden, da ich doch nie so sein konnte, wie sie es von mir verlangten.
»Das schafft man nie.« Quirin zog mich vorsichtig hoch, legte einen Arm um mich und führte mich zum Auto. Sein frischer Sommerduft, nach Sonnenöl und Wasser. Vielleicht hatte ich ihm deshalb die Schwimmbadgeschichte erzählt. Er half mir auf den Beifahrersitz,
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