Eiertanz: Roman (German Edition)
Schlenderblicke mit Hang zum Verweilen, stolze, offene Blicke, die es verstanden, eine Landschaft in Besitz zu nehmen. Fast wäre ich in haltloses Gekicher ausgebrochen bei diesem Gedanken. Er atmete einmal tief ein und aus, griff nach der Bettdecke, breitete sie über mich.
Mit geschlossenen Augen hörte ich seine Schritte, hörte, wie er beruhigend auf Picco einredete, der ihn mit fragenden, zärtlichen Lauten begrüßte, dann schien er über irgendetwas zu stolpern, was in diesem Haus nicht schwer war, ein unterdrückter Fluch. Er drehte den Wasserhahn in der Küche auf, noch einmal der Schwimmbadduft, als er zurückkam, ein Glas Wasser auf das Tischchen neben meinem Bett stellte. Seine Schritte in der Diele, die leise zuklappende Haustür. Dann nur noch das Rauschen der Bäume am See.
6.
D as Wasserglas stand auf dem Tischchen neben dem Bett. Benommen löste ich zwei Aspirin darin auf. Normalerweise hatte ich alle halbe Jahre einmal einen Kater. Nach einer zu rauschenden Premierenfeier. Oder einem deprimierenden Agenturfest. Einem bestimmten Agenturfest im Mai zum Beispiel. Es war gar nicht so anders gewesen als mit Quirin. Zumindest am Anfang.
Ich hatte zu viel Rotwein getrunken, und Christianes Freund Ralli fuhr mich nach Hause. In seinem Auto schluchzte ich wegen Mirko, und wie Quirin sagte er mir, es lohne sich nicht, um jemanden zu weinen, der sich nicht für mich interessiere, legte einen Arm um meine Schultern und brachte mich in meine Wohnung. Ob ich ein bestimmtes Lied kenne, fragte er mich, uralt, aus den Siebzigern, von Crosby, Stills, Nash & Young, er liebe die Musik dieser Zeit, weil sie so ehrlich sei. Oben in der Wohnung wollte er mir unbedingt das Lied vorspielen, eben, weil er nicht singen könne, oder nicht gut genug, er schaltete meinen Computer ein. Ob ich noch etwas zu trinken hätte? Ich hatte. Prosecco, eine angebrochene Flasche, in der ein Löffel steckte. Wir tranken. Und sahen einen Crosby, Stills, Nash & Young -Videoclip. Einer der Sänger sah aus wie ein Postbeamter in Rente, die anderen wirkten wie leicht demente Hippies.
Ralli wippte begeistert mit, erklärte mir die Botschaft des Liedes: If you can’t be with the one you love, love the one you’re with. Liebe sei einfach Liebe, immer da, man könne sie jederzeit jedem Menschen schenken, Eifersucht und Treue seien Erfindungen des menschlichen Egos, der Fluss der Liebe fließe jenseits dieser selbst gemachten Gefängnisse, unserer Affenkäfige. Während er redete, kreiste seine Hand auf meinem Rücken, warm, massierend, beruhigend. Und die alten Männer in Jeans hüpften steifbeinig über die Bühne, verrenkten sich in arthritischen Rockposen, irgendetwas daran machte mich schrecklich traurig, und das war der Moment, als Ralli mich das erste Mal Vögelchen nannte.
»Kleines, schutzloses, verweintes, zerzaustes Vögelchen, gerade schaust du so erschrocken in die Welt.«
Erschrocken schaute ich, weil seine Hand am Verschluss meines Büstenhalters nestelte. Aber ich war zu verwirrt und zu betrunken, um es ihm zu erklären, stammelte nur: »Aber Chris…, du bist doch Christianes Freund.«
»Vögelchen, Chris und ich haben eine Vereinbarung. Nur wer frei ist, kann auch fliegen, weißt du.«
Ralli war groß und schlank, mit glänzend braunen, schulterlangen Haaren und einem, wie ich bemerkte, durchtrainierten Körper. Seit ich mich von Prinz Muffel getrennt hatte, war ich nicht mehr mit einem Mann zusammen gewesen. Umso mehr tat es mir weh, dass Julia im siebten Karöttchen-Himmel schwebte, sogar seinetwegen Vegetarierin geworden war. Dabei liebte sie nichts mehr als Thai-Huhn in roter Kokossauce.
Aber ich wollte nicht an Thai-Huhn in roter Kokossauce denken, nicht jetzt, da weiche Lippen erst meinen Hals streiften, dann die empfindliche Stelle am Schlüsselbein. Etwas verwirrend war, dass Ralli dabei weiterredete, etwas erzählte, das ich nicht richtig verstand, von Wachstäfelchen, die abgeschabt und neu überschrieben würden, sogenannten Palimpsesten. Palin hieße auf Altgriechisch wieder, und psaein reiben oder abschaben. Genau das geschehe jetzt, Altes werde abgeschabt und neu überschrieben, er biete sich als Überschreibungsversuch für meine unglückliche Liebe an, dabei rieb und schabte er bereits, und ich versuchte verzweifelt, nicht zu lachen. Was allerdings immer schwieriger wurde, da er nicht aufhörte zu reden. Wenn man Palimpsest bei Google eingebe, erscheine nach den ersten fünf Buchstaben: Palim Palim, was
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