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Eiertanz: Roman (German Edition)

Eiertanz: Roman (German Edition)

Titel: Eiertanz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Brendler
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lächerlich von mir anzunehmen, dass Quirin auf mich warten würde, nachdem ich mich panisch hinter Skistöcken und Schlitten versteckt hatte, als er nach mir fragte.
    Ich schlich durch den Flur. Von Julia und Lutz war nichts zu hören, auch nicht von Picco. Erst jetzt merkte ich, dass mir ein bewundernder Pfiff, ein »Zieh d’ Latschn aus, wannsd reinkimmst« oder wenigstens ein kleines »Brunza!« als Begrüßung selbstverständlich geworden war. Aber Picco saß auf seiner Stange, den Kopf eingezogen, beobachtete mich misstrauisch, als ich an seinen Käfig trat. Er wirkte auf diese zerzauste Art deprimiert, wie in den ersten Tagen, in denen er verwirrt und ziellos umhergeflogen war.
    »Sei nicht so bedröppelt, Picco, du kommst schon wieder raus. Und morgen kriegst du was ganz Feines, ja?«
    »Picco hot oan fahrn lassn.« Es klang nicht besonders fröhlich.
    »Erdbeeren mit Sonnenblumenkernen. Oder Gurke. Picco? Du liebst doch Gurke?«
    Aber Picco war nicht zum Reden aufgelegt. Er zog den Kopf tiefer in die Federn und stieß einen Gurrlaut aus, der nach großer Einsamkeit und schwerer Depression klang. Der Boden seines Käfigs war mit verschmähten Obststücken übersät. Dazwischen die Kleckse. Viele Kleckse. Auf alten, fast grauen Sägespänen. Piccos Käfig war zweifellos verdreckt. Ich hatte ihn bisher nur oberflächlich gereinigt, weil Picco nach mir gehackt hatte, und auch Lutz, der große Vogelversteher, hatte sich nicht bemüßigt gefühlt, säubernd einzugreifen. Vermutlich glaubte er, ein Leben im Dreck sei das Natürlichste für einen Papagei
    Picco stieß wieder diesen einsamen Gurrlaut aus, schaute an mir vorbei aus dem Fenster. Mit einem, ich konnte es nicht anders sagen, sehnsüchtigen Ausdruck in den Augen. Falls Christiane ihn tatsächlich erbte, müsste er wohl ins Tierheim. Und falls nicht, vermutlich auch. Picco wirkte, als ob er dies alles längst wüsste und sich hier im Käfig schon auf den endgültigen Verlust seiner Freiheit einstellte. Einen Verlust, den er in tiefer Demut und aufgeplusterter Würde anzunehmen versuchte.
    Ich konnte es nicht länger mit ansehen. Genau genommen war dies ein Notfall.
    Fünf Minuten später flatterte Picco dankbar durch das Zimmer, landete ab und zu auf meiner Schulter, gurrte mir zärtlich ins Ohr, während ich die Stangen des Käfigs abwusch, die Späne vom Boden zusammenfegte und frisches Wasser in seinen Napf füllte. »Gehst du nachher brav wieder rein? Über das Stöckchen, wie bei Quirin?« Ob ich jetzt immer dieses Schulmädchen-Herzklopfen bekommen würde, wenn ich nur seinen Namen aussprach? War es nicht unfair von den Nervenzellen meiner Haut, sich heimlich mit seinen Fingerspitzen zu verabreden und ein immer größeres Sehnsuchtsareal in meinem Gehirn zu beanspruchen? Warum …? Ich hielt inne. In Gedanken hatte ich heftig an den zähen Klecksen auf dem Käfigboden herumgeschrubbt, jetzt quietschte etwas, der ganze Boden wackelte. Quirin hatte irgendetwas von einem zweiten Boden erzählt, den jeder Papageienkäfig haben sollte, und tatsächlich schien sich, je mehr ich schrubbte, der gesamte untere Teil des Käfigs zu lockern. Vielleicht konnte man ihn abnehmen? Während ich am Käfig rüttelte, umflatterte Picco mich pfeifend, schien sich mit jeder Sekunde in Freiheit seiner alten Form anzunähern. Und wurde mir schon wieder zu viel. Nach einigen Sekunden des Geruckels schaffte ich es, den oberen Teil des Käfigs anzuheben, ihn vom Unterteil zu trennen und ihn, keuchend vor Anstrengung, auf dem niedrigen Tisch abzustellen. Das Unterteil war aus Plastik und beinahe unbekleckst. Der zweite Boden war mit einem Stück Pappe bedeckt. Auf dem Picco zielsicher landete.
    »Husch, husch, weg mit dir, Mistvieh.«
    Aber er blieb, wo er war, den Kopf schief gelegt, ein freches Funkeln im Blick.
    »Picco? Versteckst du da etwas?«
    »Brunza! Halt die Goschn!« Nichts mehr von stiller Demut. Es klang selbstbewusst. Fast ein wenig streitsüchtig. Als ich nach der Pappe griff, schien Picco einen Moment zu überlegen, ob er nach mir hacken sollte, aber anscheinend malte ihm sein Rest gesunder Papageienverstand mögliche Konsequenzen aus, und er entschied sich für Auffliegen unter protestierendem Gekecker. Unter der Pappe lag ein Umschlag. Mit zitternden Fingern zog ich ihn hervor.
    »Picco, hast du davon gewusst? Du willst doch nicht sagen, das hier ist …?«
    Picco wollte gar nichts sagen, zog es vor, mich unter drohendem Gepfeife zu umkreisen, dabei ab und

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