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Eifel-Blues

Eifel-Blues

Titel: Eifel-Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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Schrotgewehr erschossen. Marianne R. tötete auch Susanne K. (29), die Lorenz M. auf einem morgendlichen Spaziergang begleitete. Wie die zuständige Behörde ermittelte, richtete sich Marianne R. nach der Tat selbst. Sie galt in ihrem Freundeskreis als krankhaft eifersüchtig und war mehrere Male Patientin in psychiatrischen Landeskrankenhäusern. Mit Lorenz M. verliert die Bundeswehr einen sehr couragierten, sehr befähigten jungen Offizier, dem eine aussichtsreiche Karriere sicher war. Der Minister dankt allen Beteiligten für die schnelle und präzise Aufklärung des Vorfalls.
    Später habe ich diesen Tag den Tag der tausend Zungen genannt, obwohl ich keinen Indianer kenne und auch keiner zu Besuch kam.
    Ich rief Naumann an und sagte, ich hätte sehr massive Schmerzen. Auf seine Frage, wo, antwortete ich, das sei nicht genau auszumachen: am Kopf, aber streckenweise auch wohl an den Füßen. Das verstand er und murmelte: »Ich muß sowieso in die Gegend, ich komme vorbei. Ist Ihre Freundin im Haus? Sie sollte Ihnen noch einmal lauwarmes Wasser einlassen. Die Muskeln müssen gelockert werden.«
    »Sie ist nicht da, und sie ist nicht meine Freundin.«
    »Aber sie ist doch sehr nett. Warum werden Sie so wütend?«
    Ich antwortete nicht, ich vergewisserte mich meines Körpers, ich fühlte nach, ob alles funktionierte, alles am Platz war. Dann schlug ich die Wolldecke zurück. Die Naht hinter meinem Ohr begann ekelhaft zu pochen, die gesamte Bauchmuskulatur streikte. Aber ich war gelassen. Ich ließ die Beine baumeln und hatte zum ersten Mal in meinem Leben das Gefühl, daß es sehr gut ist, die Beine baumeln lassen zu können.
    Die Salbenschicht auf meinem Gesicht war hart geworden. Ich blätterte sie geduldig ab und stand vorsichtig auf. Dann beugte ich sanft die Knie, die Beine trugen mich. Ich teilte Krümel mit, daß der vom Schicksal schwer geprüfte Held wieder zum Leben erwache, und sie strich liebevoll um meine Beine, obwohl ich weiß, daß sie auf nichts anderes aus war als auf einen gefüllten Freßnapf.
    Das Hänflingspaar kam zu Besuch. Wie grün-gelbe Striche schoß das Pärchen aus der Hecke auf den mit Wasser gefüllten Aschenbecher zu, den ich auf die Fensterbank gestellt hatte.
    »Guten Tag, geliebte Schnabbeldönse!« brüllte ich. Dann ging es glatt, aber zittrig zur Tür.
    Als das Telefon schellte, war ich gut drei Meter von dem verdammten Ding entfernt, aber immerhin erreichte ich es. Es war Jan, mein Patenkind, fünf Jahre alt, strohblond, mit einem glucksenden Lachen gesegnet.
    »Ich war mit Mami in einem Kaufbaus, Siggi. Da gab es einen ferngelenkten Jeep. Da muß man mit einem Kasten lenken. Der Jeep fährt, wie ich will. Linksrum, rechtsrum und rückwärts. Und abends kann man die Batterie rausnehmen, in einen Stecker stecken, und morgens fährt das Auto wieder.«
    »Wie geht es dir denn?«
    »Gut. Und der Jeep kann sich selbst an einem Seil über Felsen ziehen, und ...«
    »Wie geht es denn Mami und Papi?«
    »Gut. Und der Jeep kann auch umkippen. Der hat so ein Drahtding obendrauf. Und wenn er umkippt, macht das Drahtding, daß er wieder richtig fährt. Und er kann langsam fahren und ...«
    »Und dann hat Mami den gekauft.«
    »Nein. Sie hat gesagt, der wäre zu teuer.«
    »Was kostet der denn?«
    »Oh, hundert Mark, oder viele hundert Mark.«
    »Dann ziehe ich Krümel etwas Putenragout ab.«
    »Häh?«
    »Du willst doch den Jeep, oder?«
    Dann kam es leise und besorgt und berechnend und abgewogen und scheu: »Ich wünsch mir den so arg.«
    In das Badezimmer brauchte ich nur zehn Minuten, nachdem ich Jans zögerlicher Mutter behutsam beigebracht hatte, daß von hunderttausend Träumen doch einer wahr werden muß. Schwieriger war es, ohne Hilfe in die Wanne zu steigen, aber es gelang.
    »Hallo?« hörte ich den Arzt unten rufen. Er kam die Treppe herauf und schimpfte wie ein Rohrspatz. »Wie können Sie so einen Blödsinn ohne Hilfe machen? Ich habe keine Zeit für Helden. Was, glauben Sie, passiert, wenn Ihnen der Kreislauf durchsackt!«
    »Ich habe zwei Fragen. Erstens: Stimmt es, daß die dritte Leiche, also die junge Frau aus Köln, betrunken war? Und zweitens: Stimmt es, daß sie sich selbst mit der Schrotflinte erschossen hat?«
    »Also darauf wollen die hinaus.«
    »Ja. Unten auf dem Sofa liegt eine Verlautbarung des Verteidigungsministers. Grimms Märchen.«
    »Ich habe keinen Alkohol entdeckt. Und ich müßte ihn entdeckt haben. Die Frau war stocknüchtern. Auch keine Spur von

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