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Eifel-Blues

Eifel-Blues

Titel: Eifel-Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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hast du einen Unfall gehabt?« Er glitt neben das Sofa, bekam theatralisch schmale Augen und fragte streng: »War der Arzt schon hier?«
    Das mag ich so an ihm, er ist wirklich eine Art Übervater. Wenn es gelingt, seinen voluminösen Baßbariton zu stoppen, ist er so sanft und zart, daß man Angst bekommt.
    »Was ist passiert? Hast du einen Arzt?«
    »Der Arzt geht aus und ein. Und ich bin verprügelt worden.«
    Die biblische Frau mit dem lindgrünen Tuch glitt am Rand meines Blickfeldes vorbei und setzte sich gekonnt in einen Sessel.
    »In dieser Sache?«
    »In dieser Sache.«
    »Du siehst zum Fürchten aus. Hast du Schmerzen? Ist das hinter dem Ohr eine Naht?« Seine Stimme hatte das Dröhnen verloren, er schien auch kleiner geworden zu sein.
    Ich erzählte ihm sehr genau, was geschehen war, und reichte ihm die Mitteilung des Ministers. »Die Geschichte ist keine Geschichte, die Geschichte ist zu Ende, wenn Sie dem Minister glauben.«
    Er las und sagte: »Hah!«, und fing an zu lachen. Er war wieder laut, zuckte unvermittelt zusammen, erinnerte sich. »Das ist übrigens Patricia. Patricia will die Praxis kennenlernen.«
    Das war auch nicht neu. Es gab sehr viele junge Damen, denen er unsere Praxis beibringen wollte. Er strafte jedoch alle Schandmäuler Lügen, denn niemals hatte jemand verifizieren können, sie seien seine Freundinnen. Es war wohl so, daß er ihre jugendlich bewundernden Blicke brauchte und sich damit zufriedengab.
    »Guten Tag, Patricia«, sagte ich artig.
    Sie murmelte irgend etwas und versank wieder in Bedeutungslosigkeit.
    »Darf ich mal deinen Garten anschauen?« fragte der Chef.
    »Na sicher. Patricia, machen Sie uns einen Kaffee? Und, Chef, achten Sie auf meine Mauer. Aus Bruchsteinen, ohne Mörtel. Eine Zuflucht für Weinbergschnecken, große rote und schwarze Wegschnecken, Kerbtiere, Spinnen, Erdkröten, Frösche. Ich warte auf den ersten Feuersalamander.«
    »Ja, ja«, sagte er und verschwand. Er hatte gar nicht zugehört, er hört nie zu. Ich hatte ihm die Bilder gegeben und kurz darauf sah ich ihn in der Sonne im Gras sitzen und kopfschüttelnd die Fotos betrachten. Das Mädchen namens Patricia kam ein paarmal herein und fragte schüchtern nach dem Standort des Kaffees, des Zuckers, der Tassen, der Milch. Dann sah ich sie mit einem kleinen Tablett den Flur entlanggehen, wie sie durch das Gras lief, das Tablett neben den Chef stellte, rührend wortlos. Er hockte da und schien nicht von dieser Welt.
    Patricia brachte auch mir einen Kaffee. Sie hatte das lindgrüne Madonnentuch irgendwo deponiert und sah nicht mehr so biblisch aus.
    »Hatten Sie Angst, als dieser Messner Sie schlug?«
    »O ja, ich hatte die Hosen voll.«
    »Und Sie werden es ihm heimzahlen?«
    »Rache? Ich träume davon.«
    »Wenn Sie ihn beschreiben und nennen, schaffen Sie sich einen Feind fürs Leben, nicht wahr?«
    »Das hoffe ich«, sagte ich. »Wann machen Sie die erste Reportage?«
    Sie lächelte und schürzte ein wenig den Mund. »Wenn er mich läßt, morgen«, sagte sie. »Aber er wird mich nicht lassen. Er wird mich in irgendeine dieser trostlosen Abteilungen stecken für Spesenabrechnungen oder Druckkosten, oder so.«
    »Wenn Sie eine Reportage machen wollen, darf niemand Sie aufhalten«, sagte ich. Das klang widerlich begütigend, väterlich, wohlwollend.
    »Glauben Sie das wirklich?« fragte sie.
    »Na sicher«, sagte ich. »Sie nehmen sich ein Thema, sagen niemandem etwas und machen es.«
    Sie schien nie daran gedacht zu haben, sie lächelte und ging hinaus. Wenig später sah ich sie unter einem blühenden Holunder hocken, zehn Meter ab von ihrem Herrn und Meister. Der Chef sah sie nicht einmal.
    Alfred kam auf den Hof, ließ den Trecker laufen, kam in die Tür. »Ist was?«
    »Nichts. Es ist nur der Chefredakteur.«
    »Ich dachte, ich guck mal.«
    »Du bist mein Schutzheiliger.«
    Es wurde Abend, weitab im Süden über dem Moseltal türmten sich Quellwolken hoch und bildeten bizarre schneeweiße Ränder und fast schwarze Flächen aus. John Dos Passos hat das einmal »die weiße Wolkenkappe über dem Gewitter« genannt. Irgendwo westlich tobten bereits Gewitter, das Dorf war sehr still, der Chef hockte noch immer im Gras.
    Das Telefon läutete, es war Elsa. »Ich bin in einer Zelle. Ich bin am Hof vorbeigefahren. Als ich das fremde Auto sah, bin ich einfach weitergefahren. Du brauchst nur mit Ja und Nein zu antworten.«
    »Komm her. Es ist der Chef.«
    »Na gut, ich dachte nur.«
    »Du hast richtig gedacht.

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