Eifel-Feuer
verstand, aber niemals tschechisch sprach. Bruder war also jemand, der leicht zu orten war, weil er eben unverschlüsselt deutsch redete. Wir orteten ihn schon am zweiten Tag. Seine Gespräche waren ausgesprochen nichtssagend. Er orderte ein Hotel, einen Mietwagen, er ließ sich Geld wechseln und so weiter. Dann schwieg er und benutzte sein Handy nicht mehr. Wir vermuten, daß er auf Telefonzellen auswich. Nur einmal tauchte er noch auf: Drei Tage vor Herterichs Ermordung sagte er einem tschechisch sprechenden Teilnehmer: Wir machen es in drei Tagen an der Brücke...«
»Moment«, unterbrach Rodenstock. »Der Partner muß doch etwas geantwortet haben.«
Mehren schüttelte den Kopf. »Nicht einen Ton. Er nahm diesen einen Satz entgegen und unterbrach die Verbindung. Aus diesem Grund bekam dieser eine Satz auch die Kennzeichnung NZZO.«
»Was passiert, wenn eine solche Abhörung zu Ende ist?« fragte Rodenstock.
»Wir nehmen die Bänder und schließen sie in den Safe. Die Bänder werden vorher durch einen simultan arbeitenden Computer ausgedruckt. Dieser Ausdruck erfolgt zweimal. Einmal für unser Archiv, zum zweiten für den Auftraggeber. Der Auftraggeber bekommt also die Bänder nicht. Ich als Offizier muß die Abhöraktion genau durchgehen und jede Seite mit meiner Unterschrift versehen. Dann bringe ich persönlich die Abschrift ins Amt für Fernmeldewesen. Dort wird mir jede Seite quittiert. Meine Quittung belegte also genau, welche Seiten sie dort in Empfang genommen haben. In diesem Fall waren es alle Seiten, eindeutig auch die Seite 92.«
»Woher, verdammt noch mal, wissen Sie denn, daß die Seite 92 gar nicht beim Auftraggeber in Pullach ankam?« Ich war verwirrt.
»Das ist doch ganz einfach«, sagte er, als hätte er es mit einem unverständigen Kind zu tun. »Ich habe einen Verbindungsmann in Pullach. Bei irgendwelchen Unstimmigkeiten rufen wir uns einfach an und reden drüber. Natürlich über eine verwürfelte Leitung, also abhörsicher. Als ich begriff, daß der General etwas Schlimmes entdeckt hatte, ging ich in unseren Tresor und sah nach: Es mußte die Seite 92 sein. Also rief ich in Pullach an und fragte: Habt ihr die Seite 92 bekommen? Und mein Verbindungsmann antwortete: Negativ, negativ. Irgend jemand muß also die Seite 92 herausgenommen haben. Der General vielleicht, ich weiß es nicht. Eins ist jedenfalls ganz sicher: Wir haben den Auftrag vom BND nur deshalb bekommen, damit die den Ablauf der Sprengung an der Brücke genau verfolgen konnten. Das heißt: Herterich wurde in die Luft gejagt, und die Bundeswehr hat im Auftrag des BND die Aktion überwacht. Damit niemand in der Lage sein würde, so etwas Schreckliches zu behaupten, wurde aus der Abhörakte die Seite 92 getilgt. Oder sehen Sie das anders?«
»Nein«, Rodenstock schüttelte den Kopf. »Vermutlich ist es genauso gewesen. Gibt es noch einen Hinweis auf Bruder?«
»Ja, es gab noch einen. Wir bekamen ein weiteres NZZO. Bruder rief jemanden an und sagte: Okay, ich mache mich auf den Heimweg. Nur dieser eine Satz ohne eine Antwort des anderen Teilnehmers. Ebenfalls auf deutsch in Klartext. Aber diesen Schnipsel habe ich nicht durchgehen lassen, ich habe ihn aus der Abschrift herausgenommen. Wenn ich genau überlege, weiß ich nicht warum. Ich hielt ihn für gänzlich unwichtig.«
»Wann hat Bruder über Handy gesagt, ich mache mich auf den Heimweg?«
»Einundvierzig Minuten nach der Explosion an der Brücke.«
»Ich habe immer gedacht, Handies kann man nicht abhören«, sagte ich.
Er sah mich an. »Ihre Naivität in Ehren, Sir, aber natürlich können wir das.«
»Mich irritiert noch etwas anderes«, sagte Rodenstock versunken. »Wieso haben aber alle Geheimdienste ein ungefähr dreißig Seiten umfassendes Dokument gesucht?«
Er überlegte. »Es könnte sein, daß der General einen Teil des abgehörten Materials bekam. Nämlich genau den Teil, in dessen Mitte dieser eine Satz erwähnt wird, daß man in drei Tagen an der Brücke tätig werden wird. Irgend jemand aus dem Amt für Fernmeldewesen hat ihm das Material gegeben oder hat es ihn lesen lassen.
Wie auch immer. Herterichs Ermordung wurde von Deutschland aus gesteuert, Bruder ist sein Mörder, und der Bundesnachrichtendienst hat es gewußt.« Er begann unruhig auf der Stelle zu treten. »Ich muß weg.« »Gut«, sagte Rodenstock. »Wir bedanken uns.« Rolf Mehren setzte sich in seinen Golf und fuhr langsam an. Es machte den Eindruck, als wolle er bremsen und sagen: »Ich
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