Eifel-Kreuz
Tagen.
Die Beerdigung war bemerkenswert. Die Gemeinde erlaubte
sie nach arabischem Ritus, ein Imam kam. Adnan hatte sehr viele Freundinnen und
Freunde gehabt und so standen unter einem knallblauen Himmel mehr als hundert
Leute auf dem Friedhof. Ein Mann übersetzte ungelenk: »Der Imam sagt, wenn
Adnan bei einem von euch Schulden hat, sei es wirtschaftlicher Art, sei es
anderer Art, so bitten wir euch, Adnan zu verzeihen!« Allah, der Allmächtige,
im schönen Kylltal, mitten in der Eifel. Es war eine tröstliche Beerdigung und
es war auch etwas ganz Neues gewesen.
Tilla Menzel wohnte in einem alten, ehemaligen Bauernhaus
im ersten Stock. Das Herz bildete ein Raum, der von drei Computern und drei
Bildschirmen beherrscht wurde. Bücher an den Wänden, ein kleiner Schreibtisch
mit einer Unmasse an Papieren bedeckt, eine alte zerwohnte Sitzecke.
»Ich bin Baumeister, ich danke Ihnen, dass Sie bereit
sind, mit mir zu sprechen.«
Sie war eine zierliche Frau um die vierzig, schmal, mit einer
groÃen Brille, die weit vorn auf der Nase saà und ihr das Aussehen eines freundlichen,
neugierigen Vogels gab.
»Setzen Sie sich, wo Sie wollen. Am besten auf das Sofa
da, das ist einigermaÃen bequem. Ich hatte bis jetzt sechs Stunden mit Wanda.
Die Fortschritte, die wir machen konnten, sind enorm, zumal sie mit sehr vielen
inneren Hemmnissen zu kämpfen hat. Zu ihrem Schutz haben wir sie in eine andere
Klinik gebracht. Ihren jetzigen Aufenthaltsort wollen wir nicht preisgeben.«
»Das verstehe ich, kein Problem.«
»Ich habe mit Herr Kischkewitz vereinbart, dass es allein
bei mir liegt, was und wie viel ich Ihnen erzähle.« Sie lächelte leicht. »Ich
habe ziemlich miese Erfahrungen mit der Presse hinter mir. Die liefen darauf
hinaus, dass mir Journalisten ihre Verschwiegenheit zusicherten, und ich dann
am nächsten Morgen sämtliche Details nachlesen konnte. Das möchte ich nicht
noch mal erleben.«
»Sie kriegen meinen Text vor der Veröffentlichung zu sehen,
Sie haben mein Wort drauf«, sagte ich.
»Also Wanda«, begann sie und drehte sich leicht auf ihrem
Schreibtischstuhl. »Die Frau ist neunzehn Jahre alt und damit im gleichen Alter
wie der Durchschnitt ihrer Leidensgenossinnen auf den vier Transporten, die wir
bis jetzt rekonstruieren konnten. Alle Transporte waren von langer Hand
geplant. Ihr Ziel waren Eroscenter und ähnliche Einrichtungen in Berlin,
Düsseldorf, Hamburg und München. Die vier Fahrten erfolgten in einem zeitlichen
Abstand von je vier Wochen, immer an einem Wochenende. Ehe ich auf bestimmte
Personen eingehe, will ich kurz bemerken, wie diese Frauen rekrutiert wurden.
Es handelte sich nämlich in der Regel nicht um Frauen mit einschlägiger Erfahrung.
Die meisten hatten in ihrer Heimat keinen Kontakt zur Prostitution. Ach so,
entschuldigen Sie, wollen Sie etwas zu trinken? Ja, Sie wollten Kaffee.« Sie
stand auf, verschwand und tauchte mit einem Becher Kaffee wieder auf, den sie
vor mir abstellte.
»Milch und Zucker stehen da. Die Vorbereitung der
Transporte war sehr gründlich, richtig, das erwähnte ich schon. Die Frauen
wurden in ihren Heimatorten angesprochen. Von Männern, von denen nicht bekannt
war, dass sie in dieser Branche tätig sind. Wanda erklärten sie, sie könnten
ihr die Einreise in den goldenen Westen ermöglichen, ihr eine eigene kleine
Wohnung und eine Arbeitserlaubnis besorgen. Jede Frau hatte
eintausendfünfhundert Euro an ihren Schlepper zu zahlen, denn was nichts
kostet, taugt auch nichts. Dafür wollten die Männer auch bei der Suche nach
Arbeit helfen. Sie versprachen Jobs als Putzfrau, als Toilettenfrau an
Autobahnraststätten, als Haushaltshilfe, als Pflegerin in Altenheimen oder
Krankenhäusern, als Bedienung in Lokalen und so weiter. Besonders die Stellen
als Pflegepersonal für alte, kranke Menschen waren begehrt. Das, nur am Rande
erwähnt, ja selbst in der Eifel tatsächlich knapp ist. Eine physische und
psychisch schwere Arbeit, die schlecht bezahlt wird. Andererseits für die
Betroffenen teuer, dreitausendfünfhundert Euro im Monat für einen Heimplatz
sind ja kein Pappenstiel. Holen Sie sich eine Polin ins Haus, die Ihren
Verwandten unter Umständen besser betreut, als es das Personal eines Heims
kann, kostet Sie das nur zweitausend Euro. Aber für eine Frau aus Polen ist das
eine Menge Geld. Kommt hinzu, dass sehr viele Polinnen, die den Weg
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