Eifel-Kreuz
missbraucht.
Immer wieder. Ich war sechzehn, als es hieÃ, dass ich arbeiten müsse, um die
Familie zu unterstützen. Ich wurde zu Pater Rufus gerufen. Der fragte mich,
warum ich die Schule verlassen wolle. Ich sei doch gut, das Abitur würde kein
Problem für mich darstellen. Da habe ich erzählt, dass ich Geld verdienen muss
und dass mein Vater mich missbraucht. Immer, wenn er will. Und dass ich das
eigentlich nicht länger aushalten könne. Das Arschloch ist nur kurz
zusammengezuckt. Dann hat er mit mildem Lächeln erwidert, das sei mal wieder
typisch der alte, sündige Adam, und ich käme am leichtesten aus der Sache raus,
wenn ich meinem Vater sagte, dass ich seine brave Tochter sei. Liebevoll sollte
ich ihm das sagen, ganz besonders liebevoll. Dann würde mein Vater mich schon
verstehen und mich in Ruhe lassen. Ich habe es nicht fassen können, ich habe â¦Â«
Die Tränen schossen ihr in die Augen und sie bekam keine Luft mehr. Dickie
stand auf und rannte hinaus.
Maria Pawlek murmelte: »Sie trägt eine sehr groÃe Wunde
in sich herum und sie weià nicht, wie sie diese Wunde schlieÃen kann.«
»Warum zeigt sie den Vater nicht an?«
»Das hat sie ja vor. Aber das ist sehr schwer. Manchmal
ist sie so verstört, dass sie für mehrere Tage verschwindet.«
»Und wohin verschwindet sie dann?«
»Sie treibt sich im Wald herum oder sie geht in das Gartenhaus
von Isabell Prömpers.«
»Wusste Sven über Dickie Bescheid?«
»Ja. Er wollte damals unbedingt, dass sie auf dem Gymnasium
blieb. Dafür wollte er sogar sammeln und ihr ein Apartment mieten, damit sie
von dem Vater wegkommt. Aber Dickie hat das nicht gewollt. Sie musste arbeiten,
sie hat noch drei kleine Geschwister. Und die Mutter trinkt mittlerweile auch.«
»Ich gebe Ihnen meine Karte. Wenn Dickie erzählen will,
wenn Ihnen etwas einfällt: Einfach anrufen, ich komme dann. Wo wohnt Dickie
eigentlich zurzeit?«
»In einer kleinen Wohnung bei mir im Haus. Ich habe sie
zu mir genommen, sie wäre sonst vor die Hunde gegangen.« Die kleine, zierliche
Frau knallte ihre rechte Hand auf die Tischplatte und zischte: »Ich könnte das
Schwein erwürgen.«
Ich legte meine Visitenkarte vor sie hin, sagte kein Wort
mehr, sondern ging hinaus. Es war mir unmöglich, so etwas wie einen tröstlichen
Spruch zu formulieren.
Ich rief Rodenstock an und fragte, ob Alex Wienholt noch
da sei.
»O ja. Der Kerl brauchte mal ein bisschen Abstand. Für
den ist das hier wie im Exil, du brauchst dich nicht zu beeilen.«
Ich nahm das wörtlich, fuhr nach Hause, setzte mich an
meinen Teich und dachte über Dickie Monschan nach, die so ganz eiflerisch
handfest ihre drei kleinen Geschwister nicht im Stich lassen wollte, das
Gymnasium hinter sich lieÃ, tausend Träume aufgab, von ihrem Vater vergewaltigt
wurde, als Lagerverwalterin Bierkisten und Senfpaletten schleppte und als
einzigen Trost die Zugehörigkeit zu einer Clique feierte, die von einem Jungen
geführt wurde, den sie liebevoll Bruder nannte. Welch ein Spektrum in einem
neunzehnjährigen Leben.
Dickie hatte eindeutig geäuÃert, dass mehrere Lehrer diesen
Sven nicht gemocht hatten. Aber was heiÃt schon âºnicht mögenâ¹? Ich musste
versuchen, an Namen heranzukommen, und hatte gleichzeitig die Ahnung, dass das
eine schwierige Reise werden würde. Immerhin hatten schon zwei meiner Gesprächspartner
diesbezüglich gemauert. Und was, wenn die Schule, die Lehrer überhaupt nichts
mit der Sache zu tun hatten? Mit wem hatten wir es eigentlich zu tun? Wer richtet
zwei blutjunge Menschen durch Kopfschüsse hin? Und wer kreuzigt anschlieÃend
einen von ihnen, in einem Gebäude, das niemand zu kennen scheint?
Satchmo kam um die Ecke, begrüÃte mich maunzend und lieÃ
sich neben mich ins Gras fallen. Cisco folgte und legte sich neben Satchmo. So
hätte der Tag langsam und betulich zur Neige gehen können, ich hätte ihnen noch
einen Happen Industriefleisch gegeben, sie zum Zähneputzen geschickt, das
Abendgebet sprechen lassen und dann mein Haus verschlossen.
Stattdessen fuhr ich rüber nach Heyroth zu Emma und
Rodenstock, um mich den nächsten Rätseln auszusetzen.
Â
Den Namen Wienholt hätte ich eher im Münsterland erwartet
als in der Eifel.
»Er liegt im Liegestuhl hinter dem Haus«, berichtete Emma.
»WeiÃt du, wer sonst noch zu
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