Eifel-Krieg
unmenschlich.« Dann gab es ein unsicheres Lächeln und die Feststellung: »Das alles hätte ich Ihnen nicht sagen dürfen.«
»Haben Sie ja auch nicht«, sagte ich. »Dankeschön.«
Ich benahm mich wahrscheinlich kindisch, aber ich rannte im Treppenhaus der Klinik drei Stockwerke hinunter und stellte mich zwischen all die Patienten, die wie die letzten Fußkranken der Völkerwanderung fröstelnd im Freien standen und schlecht gelaunt qualmten.
Ich rief Emma an. »Du kannst vom Gas gehen. Es besteht keine Lebensgefahr.«
»Wir fahren schon auf die Drei bei Limburg zu«, sagte sie hell. »Dankeschön! Jetzt halte ich erst mal an und rauche eine.«
»Das tue ich auch«, versicherte ich.
Ich fuhr ein paar hundert Meter hinunter bis zur chemischen Reinigung von Elisabeth, stellte mich an die Bordsteinkante und stopfte mir eine schön gebogene, knuffige Pfeife, eine Gotha 58. Als sie brannte, überließ ich mich den verwirrenden Fragen, die auf mich einprasselten.
Was lief hier ab? Gab es einen Zusammenhang zwischen dem Mord an dem jungen Blue, dem massiven Ausbruch von Gewalt, der toten Katze an meiner Haustür, der toten Katze an der Haustür eines katholischen Priesters in Gerolstein? Wer hatte den Jäger Alfons Marburg aus Trier durch einen Gewehrschuss schwer verletzt? Drehte da jemand durch, war da etwas außer Kontrolle geraten? Aber was? Wen konnte ich fragen?
Die Beweislage, das immerhin konnte ich sofort beantworten, war äußerst dürftig. Wenn die Leute auf dem Eulenhof nicht mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten würden, wenn Tessa und die Mordkommission niemanden fanden, der bereit war, ein wenig Licht in das Dunkel zu bringen, sah es nicht gut aus.
Da half auch nicht die Erkenntnis, dass die Zahl der Neonazis in Deutschland nicht mehr stieg, wenn man den jüngsten Erhebungen trauen konnte, dass aber ihre Gewaltbereitschaft erheblich zugenommen hatte. Der Prozess gegen Beate Zschäpe in München war eröffnet worden. Die Frau hatte mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt jahrelang im Untergrund gelebt. Die »Zwickauer Terrorzelle« hatte man sie genannt: Man legte ihnen zehn Tötungen, Banküberfälle und eine Nagelbombe in Köln zur Last. Man hatte das Kürzel NSU gefunden, nationalsozialistischer Untergrund, man hatte in der Politik zugeben müssen, dass der Verfassungsschutz und einige Landeskriminalämter über Jahre elend versagt hatten. Sie hatten angesichts der Toten nach Mafiastrukturen gesucht, hatten im Umfeld der Ermordeten nach Straftatbeständen geforscht, die die Familien der Getöteten beleidigten und tief kränkten. Was war es denn gewesen? Glasklarer Terror von rechts, eindeutig beschämend für dieses Land.
Das machte wütend, aber half das der Eifel?
Ich musste so schnell wie möglich den Priester in Gerolstein erreichen, ich musste unbedingt mit Ana von Kolff sprechen, die angeblich ein enges Verhältnis zu dem toten Blue gehabt hatte. Gleichzeitig machte es mich nervös, ohne Rodenstock arbeiten zu müssen, meiner deutlich besseren Hälfte.
Ich war müde und hatte Hunger. Der Tag war erst halb vergangen und hatte mich schon ordentlich geschlaucht. Also drehte ich einen großen Bogen um die Stadt und ging ins
Café Schuler
, um Reibekuchen zu essen.
Der
Trierische Volksfreund
lag dort aus, und ich stieß darin auf etwas, das mich in der aktuellen Lage brennend interessierte. Stephan Sartoris hatte anlässlich des Mordfalls Henrici eine eindrucksvolle Bestandsaufnahme über den Eulenhof geschrieben und kommentierte mit den Sätzen:
Der Eulenhof in Bongard, über den selbst der Ortsbürgermeister nicht viel weiß und nicht viel wissen will, muss sich gefallen lassen, kritisch befragt zu werden. Und wenn er keine Antworten weiß, dann darf er nicht beleidigt reagieren. Ein junger Mann wurde erschossen, der dort gelebt hat. Da wird man nicht fragen dürfen, da wird man fragen müssen
.
Dann meldete sich mein Handy. Es war Tessa.
»Ich bin jetzt in Heyroth«, sagte sie. »Ich habe einen Schlüssel von Emma. Kannst du kommen und mir zeigen, wie das mit Rodenstock wahrscheinlich gelaufen ist. Die Ärzte sagen, wir können ihn bestenfalls in drei oder vier Tagen befragen, wenn überhaupt.«
»Ich komme«, sagte ich. »Emma muss auch gleich eintrudeln. Sie kommt aus Krakau. Ich bin in zwanzig Minuten bei dir und bringe dir den USB-Stick mit meinen drei Anzeigen mit.«
Ich zahlte und verschwand aus Daun. Es regnete leicht, der Asphalt war seifig, der Wind kam aus West – wie
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