Eifel-Liebe
außer Zweifel, ich bin abgerutscht, ich muss wieder zu mir selbst finden. Doch das kann ich unmöglich in der Kirche, unmöglich. Und ich werde es akzeptieren, wenn mich der weltliche Arm bestraft. Ich werde ins Gefängnis gehen. Es mag ja komisch klingen, aber ich gehe gern, damit ich das alles hier hinter mir lassen kann.« Er weinte und stützte den Kopf in beide Hände.
»Werden Sie um Dispensierung von Ihrem Amt bitten?«
Er lächelte unter Tränen. »O nein. Auf das kirchliche Gegurke lasse ich mich nicht ein. Dann habe ich vor Kommissionen zu erscheinen, Rede und Antwort zu stehen, meine Sünden zu bekennen, ich werde in meinem Glauben geprüft und sie werden mir Steine in den Weg legen, ich werde in irgendeinem vollkommen unbedeutenden bischöflichen Archiv stranden. O nein! Ich werde meinen Vorgesetzten mitteilen, dass ich von meinem Amt zurücktrete, weil ich mit einem gewissen Christian Sowieso zusammenleben will. Den gibt es zwar nicht, aber sie werden sich nicht rühren, die Augen zumachen und beten, dass ich nie wieder in diese Gegend zurückkehre. Ich kenne einen ehemaligen Dominikanerpater, der heute ein glücklich verheirateter Mensch ist. Der hat einfach verkündet, dass er seine Susanne liebt und heiraten wird. Und siehe da, die Kirche hat ihn in Ruhe gelassen, das Gehalt nicht mehr gezahlt und das war es dann.«
»Wo kommen Sie eigentlich her?«
»Aus dem schönen Saarland. Dort leben immer noch meine Eltern, die mich lieben. Als ich meinem Vater sagte, ich sei schwul, brach er erst schier zusammen. Damals wohnte ich noch in Mainz. Eines Tages stand dann mein Papa vor meiner Tür und sagte: Scheißegal, du bist mein Sohn.«
»Was hat Bliesheim eigentlich für eine Geschichte? Über den weiß ich bis jetzt herzlich wenig.«
Klinger versuchte es erneut mit einer Zigarette, scheiterte und musste grinsen. »Ich lutsche die Dinger immer. Also, Bliesheim ist so ein ›Nie-wieder-arm-Typ‹. Er stammt aus kleinsten Verhältnissen, sein Vater war Alkoholiker, die Familie lebte in einem kleinen Dorf, in dem die Armut und soziale Not der Familie wie auf dem Präsentierteller zur Schau standen. Mit sechzehn Jahren ist er wohl von zu Hause abgehauen. Er gibt über die Zeit nicht gern Auskunft, aber manchmal lässt er eine Bemerkung fallen, die darauf schließen lässt, dass er in eine sehr harte Lehre ging. Er lebte wohl erst im Zentrum Frankfurts, später im Hauptbahnhofsbereich und am Eigelstein in Köln. Wenn ich genau zugehört habe, und das habe ich gelernt, lebte er unter Nutten und Zuhältern. Er war alles Mögliche: Zuträger, Bote, Hilfskellner, bis er sich schließlich auf Pfandhäuser spezialisierte. Das scheint zu ihm gepasst zu haben. Er meinte mal: Es ist unfassbar, wie manche scheinbar reichen Leute leben. Sie versetzen alles, was sie haben, und sie sind erpressbar, weil sie für Geld alles tun. Irgendwann geriet er an Andreas Forst. Der kapierte sofort, was er da Kostbares im Netz hatte, und kümmerte sich rührend um den Jungen. Bliesheim war ungefähr fünfundzwanzig Jahre alt, als er bei Forst zuerst Vorarbeiter wurde, dann seine rechte Hand. Als ich vor vier Jahren in die Eifel kam, hatte Bliesheim sich bereits von Andreas Forst abgenabelt und schmiss den Laden allein. Wahrscheinlich war das der Zeitpunkt, zu dem er mit dem Kokainhandel anfing. Von Beginn an hatte ich den Eindruck, dass er irgendwie abgehoben lebte. Gesetze und Verordnungen schienen für ihn nicht zu existieren. Bei der Bauaufsicht gibt es einen Mann, jedenfalls geht das Gerücht, der durch Bliesheim sein Beamtengehalt verdoppelt. So lebt Bliesheim mit dem Bewusstsein: Ich kann alles kaufen! Es heißt, er habe sein Geld gut angelegt, er soll zahlreiche Immobilien besitzen. Und Bliesheim geht es inzwischen nicht mehr um Geld, sondern allein um Macht und Machtausübung. Deshalb auch der Trupp der brutalen Männer aus Aachen, das ist irgendwie typisch. Bliesheim muss aus den Erfahrungen mit der Unterwelt gelernt haben, dass sehr viele Leute Schwierigkeiten damit haben, ihre ausstehenden Gelder einzutreiben. Sie sind sich oft zu vornehm dazu. Bliesheim spezialisierte sich also darauf, mithilfe seiner Truppe Forderungen im Auftrag Dritter einzutreiben. Es geht da um Autohändler, um Antiquitätenhändler, um Bauunternehmer und was weiß ich noch alles, überall in Deutschland, in Rostock wie in München, in Hamburg wie in Düsseldorf. Bliesheim behält fünfzig Prozent der ausstehenden Summe, das wird sogar
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