Eifel-Müll
tödlich verunglückt?«
»Das Erste, was ich dachte«, antwortete er wie aus der Pistole geschossen, »war: Das darf nicht wahr sein! Irgendwie war das unfassbar. Mit so was rechnet kein Mensch, oder?«
»Was dachten Sie zwei Tage später?«
»Ich hab mit meinen Kumpels drüber geredet, wir haben endlos diskutiert. Dann dachten wir, also dachte ich, dass eigentlich ziemlich viel daran logisch war. Ich meine an Natalies Tod.«
»Logisch?«, fragte ich verblüfft. »Natalies Tod logisch?«
»Ja«, nickte er und weidete sich ein wenig verlegen an der allgemeinen Überraschung. »Wir kannten Natalie und wir wussten, sie musste etwas für ihre Mutter tun.«
Er war ein langer Schlacks mit dunklen Haaren, einem schmalen Gesicht und dunklen, sehr glanzvollen Augen.
»Nun ja«, fuhr er fort, »es war doch klar, dass da im Forsthaus in Bongard was ablief. Und Natalie war mittendrin. Und wir haben das damals so verstanden, dass sie nicht nur mittendrin war, sondern dass sich das Ganze eigentlich auch um sie drehte.«
»Sie waren sicher neugierig?«, wollte ich wissen.
»Klar«, entgegnete er. »Aber Natalie redete nicht drüber.
Sie war so ... sie war irgendwie sehr alt, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Nein, das verstehe ich nicht«, wandte ich ein.
»Also, sie war irgendwie ...«Er wusste nicht weiter.
»War sie so etwas wie ein Archetyp, eine Urmutter für Sie?«, fragte Emma sanft.
»Ja, genau. Das war sie. Als wir in der Zehn waren, da war sie noch ganz anders gewesen. Sie war auch schon Natalie, aber noch nicht so ... na ja, noch nicht so kühl. Sie zeigte uns ...« Er brach ab, er hatte etwas erklären wollen, was ihm zu weit ging.
»Was hat sie Ihnen gezeigt?«, fragte ich nach.
»Ihre Sexualität, ihr ... na ja, es war schon verrückt.«
»Was ist da geschehen?« Lass nicht locker, Baumeister!
»Das war ... wir waren auf Klassenfahrt in London. Und wir waren ganz heiß auf die Pubs und die Clubs und so. Natürlich wollten wir die Nacht in den Straßen, in einer richtigen Weltstadt erleben. Sie ging mit, sie ging immer mit.«
»Haben Sie sie geliebt?«
»Ja«, erwiderte er. »Wir haben sie geliebt, alle vier. Nicht so, dass wir mit ihr was haben wollten, aber irgendwie war sie unsere Jeanne d'Arc, unser Heilige. Wir waren in einem Schülerheim untergebracht und hockten zusammen in einem Kellerraum. Wir vier. Und sie kam herein und fragte: ›Jungs, was wollt ihr wissen?‹ Einer von uns antwortete: ›Erkläre uns die Frauen.‹ Mein Gott!« Theis strich sich über das Gesicht. »Haben wir gelacht! Aber sie wusste, dass wir es ernst meinten. Und sie zog sich aus, einfach so. Es war ... also, es war nicht erotisch, es war irgendwie cool, voll sachlich. Sie ... sie erklärte: Das hier sind die großen Schamlippen, solche Sachen eben. Ich weiß noch, dass ich die Augen geschlossen hatte, so verlegen war ich. Aber dann machte ich sie auf und erfuhr zum ersten Mal etwas über Frauen, nicht den Scheiß, den unsere Eltern uns erzählen.« Stille Tränen liefen über seine Wangen und es machte ihm nichts aus, dass wir es sahen.
»Sie war einfach wunderbar, nicht wahr?«, fragte Emma ganz leise.
»Damals war sie wunderbar. Damals noch.« Er schniefte, fummelte in den Taschen seiner schwarzen Jeans rum.
Vera reichte ihm ein Papiertaschentuch. »Das, was Sie erzählen, ist sehr schön. Und das, was daraus geworden ist, hat Sie in Wut versetzt.«
»Ja.« Theis fragte: »Kann ich vielleicht eine Zigarette haben. Normalerweise rauche ich gar nicht, aber ...«
»Sicher«, sagte Vera und reichte ihm ihre Schachtel.
Jetzt zitterten seine Hände. Er rauchte nicht genussvoll, er paffte, war aber dankbar, dass seine Hände etwas zu tun hatten. »Ich weiß gar nicht, weshalb ich Ihnen das erzähle.«
»Weil Sie reden wollen, ja, reden müssen«, murmelte Rodenstock. »Kein Wort wird diesen Raum verlassen, wir wissen Ihr Vertrauen zu schätzen.«
»Was veränderte sich?«, erkundigte ich mich.
»Zunächst haben wir das nicht geschnallt. Jedenfalls wurde sie ... ja, immer sachlicher. Sie redete plötzlich viel über Geld. Dauernd über Geld. Was was wert ist und so. Und als wir in Philosophie einmal über geistige Liebe sprachen, fragte sie: ›Wie viel, glaubst du, ist mein Unterleib wert?‹ Einmal stand ich allein mit ihr in der Raucherecke und sie sagte: ›Ich bin eigentlich eine Unternehmerin^ Ich wusste nicht, was sie meinte. Jetzt weiß ich es.«
»Was denn?«, fragte ich.
»Sie verkaufte sich«,
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