Eifel-Ralley
Treppe hinunter. Es gab Zeugen, die einen fremden Mann im Haus gesehen hatten, und es gab Zeugen, die niemanden gesehen hatten. Also das durchaus übliche widersprüchliche Bild, das an fast jedem Tatort auftaucht. Schmitt fühlte sich nicht wohl, er roch, daß etwas oberfaul war, aber er wußte nicht was. Die Frau des Toten gab an, er habe sehr viele Feinde, aber sie könne sich nicht vorstellen, daß einer dieser Feinde ihren Mann töten würde.
Schmitt ging soweit, zu untersuchen, ob Bandera möglicherweise Selbstmord verübt haben könnte. Aber wie, um Himmels willen, sollte dieser Selbstmord abgelaufen sein? Ich will damit sagen: Der Kriminalist ging gründlich vor und ließ keine Möglichkeit außer acht. So verging der Morgen des 16. Oktober. Die Obduktion war auf den Nachmittag angesetzt.
Die Angelegenheit mußt du dir sehr deutsch, sehr preußisch vorstellen. Am Kopfende standen der obduzierende Uniprofessor, neben ihm sein Assistent. Daneben der Kriminalist Hermann Schmitt. Neben der Leiche stand ein Präparator. Zwei Meter von der Leiche entfernt saß an einem Tisch ein Richter, neben ihm ein Stenograf mit der Schreibmaschine. Zunächst wurde notiert, daß der Leichnam keine erkennbaren Verletzungen aufwies. Ferner wurde aufgeschrieben, daß schwache Blutungen aus Mund und Nase den Verdacht auf Schädelbruch bestätigten. Also konzentrierte man sich auf den Schädel. Die Kopfschwarte wurde abgezogen, ein Schädelbruch war nicht erkennbar. Dann wurde die Schädelkuppe mit der Trepanationssäge abgeschnitten. Der Obduzent hob die Schädeldecke ab.
In der gleichen Sekunde roch es streng nach bitteren Mandeln. Ich darf nicht vergessen anzumerken, daß nur ein Drittel der Menschheit in der Lage ist, diesen Geruch überhaupt wahrzunehmen. Hermann Schmitt gehörte dazu. Im gleichen Moment wußte er, daß Zyankali im Spiel war. Es handelte sich zweifelsfrei um Mord.
Von dieser Sekunde an nahmen die Anwesenden an, daß sie einen klassischen Fall von Zyankali-Vergiftung vor sich hatten. Man mußte also in der Speiseröhre und im Magen erhebliche Verätzungen vorfinden. Zyankali führt zwangsweise zu Verätzungen der Schleimhäute. Ich will es abkürzen. Sie fanden nur nur eine einzige, nicht einmal pfenniggroße Verätzung im Magen. Das tödliche Gift hatte keine Verätzung im Mund, in der Speiseröhre, in den oberen Luftwegen hinterlassen. Das konnte nach menschlicher Erfahrung gar nicht möglich sein. Wie war es in den Magen gekommen?
Die nächste Frage: Konnte es sein, daß man Zyankali mit einer Gelatine-Kapsel verabreicht, die sich erst im Magen auflöst? Die Industrie sagte dem Kriminalisten: Ja, das ist möglich, aber dann würde zumindest der Magen starke Verätzungen aufweisen.« Emma sah Rodenstock an. »Machst du weiter, mein Lieber?«
Er nickte und paffte an seiner Brasil, die so dick war wie ein Gewehrlauf. »Dieser Hermann Schmitt hatte einen Mord vor sich, den es eigentlich nicht gab. Irgendwie mußte das Zyankali in den Körper des Mannes gelangt sein. Aber wie? Schmitt, das erwähnte Emma schon, war ein Mann, der niemals aufgab. Eines Tages war er dabei, wie die Frau des Ermordeten erneut zur Sache gehört wurde. Bei der Gelegenheit fragte er sie, ob ihr Mann politische Feinde gehabt habe. Natürlich, antwortete sie. Während der Emigration sei ein gewisser Rebet der politische Gegner ihres Mannes gewesen. Er sei zusammen mit ein paar Anhängern aus der Organisation ausgestiegen und habe eine eigene gegründet. Aber das sei ja wohl völlig unwichtig, denn dieser Rebet sei bereits seit zwei Jahren tot. Jetzt, mein Lieber kommt es. Hermann Schmitt entdeckte, daß auch dieser Rebet zwei Jahre vorher im Treppenhaus seines Mietshauses zusammengebrochen war. Eine Obduktion war auch bei diesem Fall durchgeführt worden. Die hatte ergeben, daß es sich um Herzversagen handelte. Schmitt setzte sich sofort mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung und forderte eine Exhumierung der Leiche. Die Staatsanwaltschaft antwortete: Nach zwei Jahren sei Zyankali nicht mehr nachweisbar. Auch habe man der Leiche den Schädel geöffnet, nach bitteren Mandeln habe es nicht gerochen. Auf keinen Fall sei Zyankali im Spiel gewesen. Schmitt wußte nicht, wie die Mörder oder der Mörder es gemacht hatte, war aber der felsenfesten Überzeugung, daß es sich um zwei perfekte Morde handelte.
Zwei Jahre später, also 1961 landete in Berlin-Tempelhof der Mörder Bogdan Staschinsky, ging schnurstracks zum amerikanischen CIA
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