Eifel-Ralley
er plötzlich dahingekommen ist.
Das ist die eine Seite, die Seite der absoluten Profis. Jetzt kommt die andere Seite, die Seite der absoluten Amateure. Wenn du aus dem Wohnzimmer guckst, siehst du den Berg am Dorf, auf dem Vulkanasche abgebaut wird. An diesem Berg vorbei geht die Strecke der alljährlich stattfindenden Rallye Oberehe. Das Ding gibt es seit mehr als 25 Jahren, es ist international bekannt, geht in die Wertung ein, aber betrieben wird das eigentlich von Amateuren, von wirklich autoverrückten Mädchen und Jungen. Hier oben in Brück ist das sogenannte Manta-Loch. In einer ziemlich scharfen Linksrechtskombination sind reihenweise Mantas in dieses Loch gerutscht oder geflogen und mußten rausgezogen werden. Diese Szene, die Mädchen und die Jungen sind mir sympathisch, denn in der Regel finanzieren die alles selbst, und ohne diese Leute wäre der gesamte Motorsport in Deutschland gar nicht möglich. Zu dieser Szene gehörte Walter Sirl mit seiner Harley. Michael Schumacher wäre ohne diese Amateure nicht denkbar, er würde ohne die nicht mal ein Paar Schnürsenkel pro Rennen verdienen. Das sind die Fans, und leider werden sie zuweilen übersehen.«
»Du bist ja richtig begeistert«, meinte Rodenstock erheitert.
»Bin ich auch«, gab ich zu. »Eine Menge Leute haben ihren Traum von der etwas anderen Art der elektrischen Eisenbahn durchgesetzt und sind belächelt worden. Aber sie haben darauf beharrt: Wir können das gleiche wie die Profis. Und sie können das auch. Es ist doch so liebenswert, daß diese Idee in der Freiwilligen Feuerwehr Oberehe geboren wurde. Mein Gott, gibt es hier irre Typen. Da wohnt jemand in der Nachbarschaft, der den Rennfahrer Dämon Hill heiß und innig verehrt. Also bittet er alle Leute, ihn auch Dämon Hill zu nennen.«
»Der hat ein Identitätsproblem«, bemerkte er trocken.
»Du lieber Himmel!« regte ich mich auf. »Mit wieviel Anderssein können wir umgehen? Meine Eifeler grinsen und nehmen es gelassen.«
»Und die Grünen wollen den Ring abschaffen«, sagte Rodenstock spitz.
»Ja, klar. Zu viele Autos, zuviel Lärm, zu viele Abgase. Aber dann müßten sie konsequenterweise auch die gesamte Fußball-Bundesliga abschaffen, weil zu viele Zuschauer mit dem Auto zum Stadion fahren.«
»Aber ist der gesamte Rummel nicht ein einziger Zirkus, ein gigantischer Selbstbeschiß, eine verrückte Werbemaschine?«
»Na, sicher. Und? Jeder Fan, verdammt noch mal, bringt Geld in diese Region. Pro Formel 1-Rennen mindestens 30 Millionen harte deutsche Mark. Was sollen wir machen? Sollen wir sagen: Leute, kauft Fahrräder?! Ich weiß, daß Autoabgase schädlich sind, ich liebe den Wald, ich will ihn bewahren. Aber wieso wird denn ausgerechnet zuerst ein Spaß verboten? Du lieber Himmel, diese scheißdeutsche Gründlichkeit. Oh Mann, jetzt hast du mich zu einem Plädoyer verleitet, du alter Gauner. Schämen sollst du dich.«
Er kicherte und schmierte sich das nächste Schmalzbrot. Dann wurde er unvermittelt ernst. »Dieser tote Sirl war also Mitglied der Amateurszene. Wer kann uns darüber Auskünfte geben?«
»Paul«, sagte ich. »Nicht mein Kater, ich meine Paul oben aus dem Dorf. Er ist ein liebenswerter Irrer, er steht zu der Szene und spricht gern darüber. Aber laß uns erst einmal ein paar Stunden Pause machen, in meinem Hirn herrscht ein ungeordnetes Durcheinander. Und wir haben in der Nacht zu wenig geschlafen.«
»Das ist richtig«, nickte Rodenstock. »Wo sind eigentlich die Frauen?«
»Weiß ich nicht. Im Garten, vermute ich.«
Sie saßen wirklich im Garten und tranken Kaffee.
»Wir haben uns etwas überlegt«, sagte Dinah. »Und zwar werden wir die Mutter von Walter Sirl besuchen. Jetzt. Sie wird schon von seinem Tod wissen.«
»Das ist gut«, sagte ich. »Das ist verdammt gut.«
»Du warst am Unfallort. Hat er gelitten? Ich meine, mußte er Schmerzen ertragen?«
»Das glaube ich nicht.«
Emma fragte: »Gibt es irgendeinen Punkt, den wir besonders beachten müssen?«
»Ja«, sagte Rodenstock. »Dieser Walter hat dem Konzernmächtigen das Motorradfahren beigebracht. Wie ist es zu dieser Verbindung gekommen? Und was weiß die Mutter vom Leben ihres Sohnes auf dem Nürburgring?«
Wenig später fuhren sie vom Hof, und ich legte mich auf mein Bett und hörte Ella Fitzgerald und Louis Armstrong zu: »Baby, it's cold outside.«
Dann kratzten Paul und Willi an der Tür, weil es unmöglich war, daß ich mich hinlegte, ohne ihnen Bescheid zu geben, wo ich zu finden
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