Eifel-Schnee
Sie begann laut zu schluchzen.
»Seien Sie ganz ruhig«, murmelte ich.
»Scheiße, das ist nicht so einfach«, schniefte sie. »Ich bin in einer Telefonzelle am Bahnhof, ich habe gesagt, ich muß mal an die frische Luft. Also, ich habe hintenrum gehört, daß Betty schwanger gewesen ist. Angeblich im dritten oder vierten Monat. Ist das nicht furchtbar?«
»Das ist furchtbar. Können Sie mir sagen, wie ich an Sie herankomme?«
Sie wurde ein wenig klarer. »Ich habe darüber nachgedacht. Mein Mann ist so irre eifersüchtig. Wenn vielleicht eine Frau ... haben Sie eine Frau?«
»Habe ich.«
»Dann sollte die mich zu Hause anrufen und ganz einfach fragen, ob ich bereit bin, mich mit Ihnen über Ole und Betty zu unterhalten. Dann würde mein Mann sicher nicht so ...«
»Schon kapiert«, sagte ich. »Wir rufen Sie dann an. Noch eine Frage: Von wem haben Sie das mit der Schwangerschaft gehört?«
»Von einer Frau, die hier immer nur die Ratsche genannt wird. Sie weiß alles und sie trägt alles weiter, aber meistens stimmt, was sie behauptet.«
»Bis später dann«, verabschiedete ich mich. Ich rief Tilmann Peuster an. »Ich habe noch eine Frage. Ist es richtig, daß die Betty schwanger war?«
»Stimmt«, bestätigte er. »Ich weiß das erst seit gestern abend. Woher haben Sie das?«
»Ein Gerücht, gestreut von einer Frau in Jünkerath. Ich kenne sie nicht. Ist der Türke, der unter Verdacht stand, wieder frei?«
»Selbstverständlich«, sagte Peuster. »Wir müssen jetzt nur dafür sorgen, daß alle erfahren, daß der Mann als Täter niemals in Frage kam. Das Furchtbare ist, daß sich Jünkerath auf ihn als Täter schon richtig eingeschossen hatte.«
»Ich werde es jedem erzählen«, versicherte ich und bedankte mich bei ihm.
Als Thomas Schwarz und seine Uli gefahren waren, meinte Rodenstock: »Wir sollten wegen der Kassette sofort die Staatsanwaltschaft in Trier anrufen. Die mögen es nicht, wenn man etwas zu lange für sich behält.«
»Dann tu das«, sagte ich.
Er ging telefonieren, kam sofort wieder in die Küche und seufzte: »Das war nicht so gut. Ich soll das Ding sofort nach Wittlich bringen. Ich mußte zusagen.«
»Ich fahre dich«, bot sich Dinah sofort und ungefragt an. Sie sah mich an und murmelte sehr offen: »Du solltest dich vielleicht ausruhen, bis wir zurück sind.«
»Zielst du auf unsittliche Handlungen ab?«
»Selbstverständlich«, nickte sie. »Abschalten kannst du woanders.«
»Gute Aussichten«, befand ich.
Rodenstock pumpte sich einen Rollkragenpullover von mir, und sie machten sich auf den Weg. Ehrlich gestanden, war ich dankbar, eine Weile allein zu sein. Dieses Weihnachten war an mir vorbeigerauscht, ohne auch nur im geringsten weihnachtlich zu sein. Weil ich aber ein hoffnungsloser Romantiker bin, legte ich Queen ein und hörte andächtig zu, wie Freddy Mercury jubelte It must be heaven . . . Anschließend gab es von Oscar Peterson Swingin Piano. Ganz langsam hielt Ruhe Einzug in meine strapazierte Seele, bis Dr. Ralf Siepmann von der Deutschen Welle anrief und fröhlich sagte: »Einen schönen Weihnachtsbaum denn auch. Ich habe hier einen unserer Redakteure für Sie. Kann der Informationen haben über diese grausliche Doppelmord-Geschichte? Wird bezahlt.«
»Gegen Geld kann er fast alles haben«, antwortete ich. »Her damit.«
»Mein Intendant läßt Sie schön grüßen.«
»Grüßen Sie zurück.«
Der Redakteur war ein junger Mann, der knappe und präzise Fragen stellte und mich nicht länger als zwanzig Minuten aufhielt. Von unseren privaten Fährten und Ermittlungen erzählte ich ihm nichts. Dann kochte ich mir einen Tee und kramte in meiner Erinnerung nach dem schönsten Weihnachtsfest, das ich erlebt hatte. Beruhigt stellte ich fest, daß es eine ganze Reihe davon gegeben hatte, als meine Eltern noch lebten und meine Großeltern ihren weihnachtlichen Besuch bei uns abstatteten. Meine Großmutter, die Klara, hatte jedesmal darauf bestanden, mit uns Skat zu spielen, und jedesmal hatte sie heftig gemogelt. Sie hatte mir gestanden, Skat ohne Mogeln sei eine höchst langweilige Sache. Mein Großvater hatte sich auch nach fünfzig Jahren Ehe nicht an die Schummeleien seiner Frau gewöhnen können und hielt ihr jedesmal einen furchtbaren Vortrag über die Notwendigkeit der Deutschen, endlich zu begreifen, daß es ohne Fairplay nun einmal nicht gehe.
Meine Großmutter Klara pflegte dann hoheitsvoll zu antworten: »Ich bin keine Deutsche, ich bin aus Essen-Kupferdreh!«,
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