Eifel-Schnee
Moral. Frauen sind sehr praktisch, was diese Dinge angeht. Um die zu schützen, die sie lieben, gehen sie auch ins Bett beziehungsweise stellen ihren Körper zur Verfügung – wie ein Instrument gewissermaßen. Die Schilderungen von Frauen in Kriegen und Notzeiten laufen doch darauf hinaus.«
»Du würdest das auch tun? Also, wenn ich in Gefahr schweben würde, und du könntest mich retten. Aber nur, wenn du dich ... na ja, jemandem hingibst. Würdest du so das tun?«
»Aber ja«, bestätigte sie. »Etwas anderes zu behaupten wäre bigott.«
Gegen elf Uhr schalteten wir den Fernseher aus, um ins Bett zu gehen. Draußen waren vierzehn Grad minus, und ich wickelte vier Briketts in eine dicke Lage Zeitungspapier ein, damit der Ofen bis zum nächsten Morgen durchbrannte. Ich hörte, wie Dinah unter der Dusche trällerte, irgendwo weit entfernt schlug ein Hund an, ein Auto zog die Beulerstraße hoch, und seine Räder drehten auf dem Schnee durch. Ich öffnete die Haustür und blickte eine Weile hinaus. Die Luft war glasklar und sehr kalt. Die Flocken tanzten in gleichförmigen Rhythmen durch den gelben Schein der Hoflampe. Paul und Momo kamen und rieben sich an meinen Beinen. Sie starrten genauso hinaus wie ich, und offensichtlich gefiel ihnen diese Kumpanei, sie schnurrten sehr intensiv und miauten hin und wieder in langgezogenen Tönen. Es klang wie eine freundliche Unterhaltung über unwichtige Dinge-Plötzlich tauchte links am Rand der Scheune eine kleine Figur auf, und ich mußte nicht einmal die Augen zusammenkneifen, um sofort zu begreifen, wer es war. Er ging wie jemand, der sich durch nichts beirren läßt. Seine schmale Figur war leicht nach vorn geneigt, und er wirkte sehr locker.
»Ich werde noch mal verrückt«, rief ich laut.
Er drehte den Kopf, sah mich und betrat den Hof. Er trug wieder diese Pantoffeln, wieder diesen Parka, aber glücklicherweise statt eines Schlafanzuges normale Jeans und einen dicken Pullover. Nicht im geringsten verlegen sagte er: »Ich dachte, ich komme mal vorbei.«
»Was ist denn da los?« fragte Dinah hinter mir im Flur. »Warum kommst du nicht ins Bett?«
»Das wird nicht gehen«, erklärte ich. »Wir haben Besuch.«.
Sie schaute über meine Schulter auf Schappi, der da mit geradezu unheimlicher Gelassenheit im Schnee stand. »Um Gottes willen, was ist denn passiert?«
»Ich dachte, ich komme mal vorbei«, wiederholte er.
»Ich grüße dich. Das ist aber nett. Komm rein!« Und weil ich stark verunsichert war, stellte ich eine ausgesprochen idiotische Frage: »Seit wann bist du denn unterwegs?«
Er blickte auf seine Uhr und erklärte sachlich: »Ich habe ein paar Abkürzungen genommen, aber eine Abkürzung war ziemlich blöde ... sie war länger als die Bundesstraße. Jetzt ist es halb zwölf ...«
»Mein Gott«, Dinahs Stimme verriet den Schock. »Wieviel Kilometer sind denn das?«
»Zwölf, schätze ich.« Er bewegte sich, er wollte ins Haus, aber wir standen ihm im Weg.
»Entschuldige«, sagte ich hastig und machte ihm Platz.
Er marschierte an uns vorbei und fragte: »Wohin?«
»Wie?« fragte Dinah schrill. »Ach so, wohin. Na ja, erste Tür links.«
»Betty hatte so einen ähnlichen Bademantel«, stellte er freundlich fest.
»Na, sowas!« murmelte Dinah.
»Was ist?« fragte ich. »Heiße Milch?«
»Hast du auch einen Schluck Cola?«
»Habe ich auch«, nickte ich. »Wann bist du los?«
»So gegen acht Uhr. Papa hat gerade Tagesschau geguckt. Aber die eine Abkürzung war nichts, da habe ich mich verlaufen.«
»Dein Papa weiß nicht, daß du hier bist, oder?«
Schappi schüttelte den Kopf und sah sich aufmerksam um. »Nein. Wenn ich gesagt hätte, ich will dich besuchen, dann hätte er gesagt, ich soll zu Hause bleiben und dir nicht auf den Wecker fallen. Das sagt er immer.«
»Frierst du nicht? Willst du eine Decke?« Dinah war ganz fahrig.
»Nein, ich friere nicht. Ich bin stramm gegangen, da friere ich nicht. Ihr habt es aber gemütlich.«
Ich ging in die Küche, um ihm die Cola zu holen, und hörte, wie Dinah sagte: »Zieh dir den Parka aus, sonst erkältest du dich.«
Ich stellte die Cola vor ihn hin, nahm mein Handy und verschwand nach oben ins Badezimmer. Ich rief bei Mehrens an und erwischte seine Mutter.
»Baumeister hier. Kein Grund zur Aufregung. Schappi ist hier. Er ist gerade angekommen.«
Sie war erleichtert, aber sie war auch empört. »Ja, das geht doch nicht. Das hat der Junge doch noch nie gemacht. Ja sowas! Mein Mann kommt und holt
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