Eifel-Schnee
ihn.«
»Das wäre gar nicht gut«, widersprach ich. »Der Junge trauert um seinen Bruder. Wenn er müde ist, kann er hier ein paar Stunden schlafen. Ich bringe ihn morgen heim.«
Sie druckste herum, es war ihr nicht recht, ich war so etwas wie ein Feind. »Ich weiß nicht. Der Junge erzählt immer so viel Blödsinn.«
»Das weiß ich doch«, beruhigte ich sie. »Ich höre nicht hin.«
»Ja, wenn Sie meinen«, sagte sie kläglich.
»Das meine ich. Tschüs, bis morgen.« Ich unterbrach die Verbindung und ging wieder hinunter.
Schappi erzählte gerade: »Ein Autofahrer hat gehalten und geschrien: Heh, Zwerg, wohin willst du denn? Aber ich bin einfach weitergegangen.«
Mir fiel etwas ein, ich rannte hinauf ins Schlafzimmer und holte das Foto des Kriminalbeamten Dieter Kremers. Ich warf es wie nebenbei auf den Couchtisch und gab keinen Kommentar dazu.
Schappi trank von der Cola. »Also, ich glaube, ich muß mal zu Hause anrufen, sonst ...«
»Mußt du nicht mehr«, unterbrach ich. »Ich habe gerade mit deiner Mutter gesprochen. Ich habe gesagt, du bleibst heute nacht hier, und ich fahre dich morgen nach Hause.«
Schappi schaute mich an und begann auf eine erschreckend lautlose Weise zu weinen. Er hockte da und zuckte fortwährend. Dinah setzte sich neben ihn und nahm ihn in die Arme. Ich legte Holzscheite auf die eingepackten Briketts und stellte den Zug des Ofens auf. Die Flammen schlugen augenblicklich hoch.
Es dauerte eine Unendlichkeit, bis er ruhiger zu atmen begann und sich die Tränen aus dem Gesicht wischte. Er war so klug wie alle Kinder, er ging darüber hinweg. Mit einem Blick auf das Foto Dieter Kremers meinte er: »Ich habe dir doch gesagt, daß Ole den da getroffen hat. Das war am belgischen Kaufhaus in Losheim. Das war der.«
»Wie oft haben die sich denn getroffen?« fragte Dinah.
»Das weiß ich nicht. Ich glaube oft. Ich war zweimal dabei.« Er setzte erneut ein »Glaube ich« hinzu.
»Wie gefiel der dir denn?« erkundigte ich mich.
»Nicht besonders«, antwortete er. »Ole hat gesagt, der wäre eigentlich ein Arsch, aber vielleicht ... ich weiß nicht mehr, was er dann gesagt hat.«
Dinah lächelte. »Ole hat bestimmt gesagt, dieser Bulle wäre nützlich, oder?«
»Genau!« bestätigte er hell. »Genau.«
»Herzlichen Glückwunsch«, murmelte ich, und erfreulicherweise wurde Dinah ein wenig rot.
Paul und Momo demonstrierten das Elefantenspiel und donnerten die einhundertfünfzig Jahre alte Eichentreppe hinauf und hinunter, die wegen völlig fehlender Isolation wie ein dumpfsonores Baßinstrument dröhnte. Besonders Paul liebte diesen Baß.
»Die sind aber gutgelaunt«, sagte Schappi leise.
»Sind die fast immer«, sagte ich. »Wenn ich mal mies drauf bin, schleichen sie an den Wänden entlang und sind nervös. Wenn die Welt in Ordnung ist, spielen sie das Elefantenspiel auf der Treppe.«
»Elefantenspiel«, lachte er. »Kälbchen rennen manchmal auch so rum, wenn sie gut drauf sind.«
»Jetzt muß ich aber ins Bett«, meinte ich. »Ich bin hundemüde.«
»Wir gehen auch ins Bett, nicht Schappi?« sagte Dinah.
»Ja klar«, nickte er. »Wo schlafe ich denn?«
»Du kannst im Bett von meinem Freund schlafen und ein eigenes Zimmer haben«, schlug ich vor. »Du kannst aber auch bei uns schlafen. Bei uns liegt eine Riesenmatratze einfach auf dem Fußboden. Da ist Platz genug. Du kannst dir das in Ruhe angucken und dann entscheiden.«
»Ich habe bei Mama geschlafen«, sagte er und war ganz weit weg. »Bis Papa gekommen ist. Dann mußte ich in mein Zimmer.«
Wir marschierten also die Treppe hinauf, und Schappi begutachtete Rodenstocks Zimmer, dann unsere nächtliche Bleibe. Und er war ein bißchen verlegen.
»Kein Problem«, murmelte Dinah. »Du kannst in der Mitte schlafen, wenn es dir nichts ausmacht.«
»Nee, also das macht mir nix aus.«
Wir waren es gewohnt, nackt zu schlafen, weil jemand mir in meiner Jugend geflüstert hat, das sei besonders heilsam und dem Körper bekömmlich. Da wir Schappi nicht in Verlegenheit bringen wollten, zogen wir T-Shirts und Shorts an, und ich pumpte Schappi ein paar kurze Hosen, in denen er vollkommen versank. Er gluckste vor Lachen, als er an sich heruntersah, ließ sich auf den Rücken fallen und strampelte mit den Beinen. »Oh, Mann«, keuchte er, »ich seh wirklich aus wie ein Clown.« Dann lag er zwischen uns, sehr verkrampft, und bemühte sich, Arme und Beine bei sich zu behalten. Er starrte an die Decke, schloß die Augen, als habe ihm
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