Eifel-Schnee
das jemand befohlen, blinzelte, sah, ohne den Kopf zu bewegen, zu Dinah hinüber, dann zu mir.
»Du kannst ganz locker sein«, grinste ich. »Wir beißen heute nacht nicht.«
Er prustete wieder vor Lachen, die Beklemmung wich ein wenig. Er drehte sich zu Dinah.
»Du hast in letzter Zeit nicht viel geschlafen, nicht wahr?« fragte sie.
»Nee«, gab er zurück. »Gestern morgen habe ich den Kälbchen die Milch gegeben, die kriegen immer Kraftfutter. Und dann habe ich mich auf einen Haufen Silage gesetzt und bin eingeschlafen. Weil die Kälbchen machen mich immer ruhig.«
»Das wird besser werden«, murmelte Dinah. »Es ist sicher sehr schwer, Ole und Betty zu verlieren.«
»Ja«, sagte er.
Ich überlegte, ob ich die schlimme Geschichte noch einmal ansprechen sollte und dachte dann, daß es wahrscheinlich heilsamer sein würde, darüber zu reden, als nur darüber zu grübeln. »Da ist eine Sache, die ich nicht verstehe«, murmelte ich in das Halbdunkel des Zimmers. »Dein Vater hat mir erzählt, daß dieser Kremers, dieser Kripomann, bei euch zu Hause war.«
»Ja, ja, das stimmt.«
»War der nur einmal bei deinem Vater oder öfter?«
»Öfter«, sagte er, und Zweifel gab es nicht.
»Weißt du, wie oft?«
»Weiß ich nicht, weil ich ja zur Schule muß. Aber Mama sagte, wenn das so weitergeht, koche ich jeden Morgen nur noch Kaffee für die Polizei.«
»Oh Gott«, hauchte Dinah.
»War das jetzt im Sommer oder im Herbst?«
»Das war nach den Sommerferien.«
»Hat jemand gesagt, du darfst das Ole und Betty nicht erzählen?« fragte ich.
»Na, klar, die durften das nicht wissen. Und die Männer kamen ja auch nur, wenn Ole und Betty nicht da waren.«
»Wieso die Männer?« hakte Dinah nach. »Waren außer Kremers noch andere dabei?«
»Ja, ein anderer, ein Jüngerer.«
»War der von hier?«
»Nicht von hier«, antwortete Schappi in die Stille. »Den hab ich noch nie in Jünkerath gesehen.«
»Hatte der ein Auto?« fragte Dinah beharrlich weiter.
»Ja klar. Einen Dreier-BMW. Mit Münchner Kennzeichen.«
»Auch das noch«, sagte ich.
»Wieso?« fragte Dinah.
»Leute aus München in der Eifel bedeuten immer Verdruß«, murmelte ich.
»Was sollten die in dieser Provinz suchen?« meinte sie spöttisch.
Mich ärgerte das: »Die Eifel ist immerhin gut genug für ein paar Riesenschweinereien.«
»Entschuldige«, sagte sie nach einer Weile. »Schlaft gut.« Sie drehte sich von uns ab.
Ich starrte auf das mattblaue Viereck des Fensters und spürte, wie Schappi sich zu mir wandte, langsam und leise. Er hielt die Augen sehr weit offen, als habe er Furcht davor einzuschlafen. Ich dachte an Rodenstock, der jetzt wahrscheinlich auf seiner Liege neben Mario lag und sich fragte, wie dieser Junge es schaffen würde, mit einem Fuß zu leben.
Ich wurde schläfrig.
Als es unten wie ein dröhnender Hammerschlag explosionsähnlich krachte, spürte ich als erstes, wie der Junge blitzschnell hochfuhr und wahnsinnig hastig zu atmen begann. Dann fragte Dinah mit verschwommener Stimme: »Was?«
Ich starrte auf das Leuchtzifferblatt des Weckers. Es war drei Uhr. Ich hörte, wie Dinah nach irgend etwas tastete.
»Kein Licht!« befahl ich scharf.
Schappi saß neben mir, starr vor Schreck.
»Seid leise!« flüsterte ich. Momo und Paul knurrten vor der Türe zum Schlafzimmer.
Ich stand vorsichtig auf und tastete mich zur Tür. Das Haus war totenstill, und ich riskierte es, die Türklinke vorsichtig herunterzudrücken. Die Katzen wischten in den Raum und stellten sich eng an Dinah und Schappi, die auf der Matratze standen.
Ich griff nach Dinahs Hand, nahm Schappi am Arm und zog sie mit mir auf den Flur. Ich deutete auf die Tür zum Dachboden, zog den Schlüssel ab und drückte ihn Dinah in die Hand.
»Ich will aber mit«, hauchte sie wütend.
Ich schüttelte den Kopf und deutete auf Schappi. Dann öffnete ich die Tür zum Dachboden. Eiskalte Luft strömte mir entgegen. Ich winkte die beiden energisch hinein. Sie strichen an mir vorbei, und ich schloß die Tür hinter ihnen.
Von unten war jetzt das Geräusch von Glassplittern zu hören, die herunterfielen. Aber ich konnte nicht ausmachen, ob es aus der Küche kam oder aus dem Arbeitszimmer.
Ich ging ganz normal die Treppe hinunter, weil ich wußte, daß es keinerlei Sinn machte zu versuchen, diese Treppe leise hinabzusteigen. Uraltes Eichenholz knarrt immer, und wenn die Katzen das Elefantenspiel machen konnten, wirkte das Gewicht eines Menschen erst recht wie das
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