Eifel-Sturm
nicht quälen, aber war sie hübsch?«
»Ja, war sie. Sehr sogar. Sie war so eine Mischung aus Romy Schneider und Audrey Hepburn, wenn du weißt, was ich meine. Eine Seite romantisches, edles Mädchen, die andere Seite eine vom Lande, deftig, richtig schön. Ich glaube, das, was uns vor allem anmachte, war ihre Figur. Irgendwie war sie ein Traum. Und sie konnte so herrlich lachen.«
»Was war das jetzt mit dem Biertrinken?«
»Ach so, ja. Also, ihr Vater heißt Manfred von Hülsdonk. Und der hat eine richtig schöne alte Kneipe. Unten am Kreisverkehr in Hellenthal. Etwas weiter zurück liegt im Übrigen sein Hotel. Jedenfalls half Annette manchmal in der Kneipe aus. Deswegen gingen wir bei Manni ein Bier trinken. Oft war es dann so, dass ich mein ganzes Monatstaschengeld an zwei Abenden in Mannis Kneipe ließ und Annette noch nicht einmal gesehen hatte, weil sie gar nicht auftauchte.« Er lachte. »Das Schwierigste war, überhaupt nach Hellenthal zu kommen. Damals war es noch nicht normal, ein Moped zu haben. Wir sind per Anhalter angereist, manchmal mit einem Kumpel, der schon den Führerschein hatte, manchmal aber auch zu Fuß über Neuhaus und Udenbreth. Ich sage dir, die hat die Eifeler Jugend wirklich in Bewegung gebracht.«
»Und wer hat sie letztlich gekriegt?«
»Das ist ja das Verrückte: Keiner!«
»Das gibt's doch gar nicht!«
»Doch, das gibt es. Niemand hatte sie. Außer dem irren Bastian. Aber der zählt ja nicht.«
»Wer ist das nun schon wieder?«
»Bastian heißt eigentlich Sebastian, ist der Sohn eines Installateurs. Ist als Vierzehnjähriger in einem Neubau zwei Stockwerke tief gefallen. Irgendwas in seinem Kopf ist seitdem kaputt. Er hat einen Schaden, nicht schlimm, aber deutlich. Und ausgerechnet er wurde Annettes wirklicher Freund. Ich weiß natürlich nicht, ob sie miteinander geschlafen haben – fast würde ich annehmen: nein. Aber er wurde über die Jahre ihr Vertrauter. Was immer sie ihm sagte, er tat es; was immer sie wollte, er besorgte es; was immer sie plante, er richtete es ein, dass alles klappte. Er hat einen Sprachfehler und eine leichte Lähmung auf der linken Seite, aber sonst ist er körperlich topfit. Er hat das Aussehen eines Engels und er kann niemandem ein Haar krümmen, sagen die Leute. Doch ich befürchte, wenn er erfährt, dass seine Annette tot ist, wird er ausrasten.«
»Sag mal, das alles hast du in deiner Zeitung verarbeitet?« Ich war verblüfft. Das war die Erzählung eines Freundes, nicht der Bericht eines Journalisten.
»Nichts von dem«, murmelte er. »Ich habe dem Trierischen Volksfreund einen sanften Essay hingelegt, etwas zum Nachdenken. Was sollte ich auch sonst tun? Ich weiß eben zu viel, ich war dabei.«
»Kannst du dir einen Grund vorstellen, warum sie jemand erschossen hat?«
»Ja und nein«, sagte er tonlos. Dann wiederholte er es langsam, fast genüsslich. »Ja und nein.«
Wir schwiegen eine Weile, bis ich fragte: »Sie hat doch das Leben geliebt, oder?«
»Hat sie«, bestätigte er.
»Dann ist es unvorstellbar, dass sie sich auf niemanden einließ, dass sie keinen Freund hatte.«
»So war sie eben. Und ich hab ja auch nicht behauptet, dass sie sich auf niemanden einließ. Sie meinte mal zu mir, in der Eifel würde zu viel geredet, zu viele Gerüchte. Und ihre Ausbildung hat sie ja im Ausland gemacht und dort hatte sie Freunde und manchmal auch einen Mann fürs Bett. Ein komisches Mädchen, vielleicht, oder ein seltenes Mädchen. In der Eifel fange ich nichts an, sagte sie immer. Und ich habe selbst die Sache in Wales erlebt. Das war herb.« Er überlegte. »Du wirst eh nachfragen, also erzähle ich es dir gleich. Wir sind vom Verein aus nach Großbritannien gefahren. Gemütliche Tour über vierzehn Tage. Die Küsten abgetingelt. Ich weiß nicht mehr, wie das Städtchen hieß, aber es gab dort ein edles Hotel. Und da arbeitete unsere Annette im Empfang. Ich habe sie nicht wieder erkannt, jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Offenes, langes Haar, ein Ausschnitt, dass dir die Augen übergingen, ein Rock, der nicht mal für den Arsch reichte. Ein ganz anderer Mensch. Und sie genoss es, angestarrt zu werden. Eindeutig hatte sie was mit mindestens zwei Kellnern. Komisch, es hat mich irgendwie enttäuscht. Sie wirkte billig, nicht mehr so ... so souverän, wenn du verstehst, was ich meine. Wenn sie uns in der Lobby etwas servierte, beugte sie sich so weit vor, dass man ihren Slip würdigen konnte. Irgendwie, na ja, das war nicht mehr
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