Eifel-Sturm
Szene?«
»Nein. Wenn wir für den Vorgang einen weiteren Zeugen finden, was sehr wahrscheinlich ist, müssen wir umdenken. Bisher gingen wir davon aus, dass nur zwei Personen an dem Vorgang beteiligt waren, der Mörder und das Opfer. Jetzt haben wir plötzlich drei. Wer war die dritte Person? Wenn du uns das Rätsel löst, Siggi, kriegst du das Bundesverdienstkreuz.«
»Weiß Rodenstock schon davon?«
»Natürlich. Was wirst du jetzt tun?«
»Nach Hause fahren und schlafen«, log ich fröhlich. »Dem Junggesellen bleibt immer nur das einsame Bett.«
»Ha, ha«, raunzte sie und beendete das Gespräch.
Ich bestellte noch ein Eis. Wenn man auf rutschige Pfade gehen will, sollte man das gut genährt tun. Dann machte ich mich auf den Weg. Ich fuhr wieder zurück über Neuhaus den Berg hinauf. Den Wagen parkte ich oberhalb des Hofes von Albert Tenhoven, nahm die Maglite und schlich am Waldrand entlang. Der Hof hatte drei große Bogenlampen, die ihn gut sichtbar hielten. Im Abstand von etwa vier- bis fünfhundert Metern umfasste hufeisenförmig Wald das Gebäude, dann folgten Wiesen bis unmittelbar an das Haus heran. Die Frage war: Wann kam Albert Tenhoven ins Haus? Jeden Abend? Jeden Abend ganz spät? Oder einfach dann, wenn die Luft rein schien? Ich hatte nicht die geringste Vorstellung, was ihn trieb, den Hof zu meiden, aber vielleicht würde er es mir sagen.
Ich folgte dem Waldrand, benutzte nur selten die Stablampe und blieb für Leute auf dem Hof unsichtbar. Zunächst war es leicht begehbarer Tannenwald, der dann einem jungen Mischwald wich. Das Laufen wurde erheblich schwieriger, weil dort hohe Ginsterbüsche zwischen Birken und Krüppeleichen standen und zudem Himbeer- und Brombeerranken in den Weg wucherten. Aber das hielt mich nicht davon ab weiterzugehen. Zweimal fiel ich empfindlich auf die Nase, weil meine Füße sich in rankenden Zweigen verfingen.
Dann entdeckte ich das erste Häuschen. Es kam in der Dunkelheit wie ein großes Viereck auf mich zu und ich fragte mich, was das sein könnte. Plötzlich wusste ich es: Albert Tenhoven war unter anderem Imker, hier standen Bienenstöcke. Das Häuschen war stockdunkel, die Ein- und Ausfluglöcher der jeweiligen Stöcke waren aber gut erkennbar. Ich wusste aus Erfahrung, dass sich im Gebäudeinnern ein breiter Gang befinden musste, von dem aus der Imker arbeiten konnte.
Der Gang war nicht verschlossen. Ich drückte die Tür vorsichtig auf, es roch süßlich. Links an der Wand hing ein großer Hut mit einem Gazenetz, daneben waren Gerätschaften, von denen ich annahm, dass ein Imker sie braucht.
Der Hof lag jetzt links von mir hangabwärts, er wirkte im gelben Schein der Bogenlampen wie eine friedliche Insel, wie ein Haus, das man gerne ansteuert, um sich in Sicherheit zu begeben.
Ich erreichte das zweite Bienenhaus. Auf den ersten Blick wirkte es genauso klobig und viereckig schwarz wie das erste. Aber dann stellte ich Unterschiede fest. Das hier war größer, war doppelt so groß. Und ein weiterer Unterschied bestand darin, dass in diesem hier Licht brannte. Ich konnte nicht erkennen, ob es elektrisches Licht war oder eine Petroleumfunzel. Aber eindeutig war es Licht. Es fiel in einem schmalen Streifen am Fußboden auf die Nadeln der Kiefern, die hier standen. Dann roch ich Tabak, unzweideutig ein starkes, scharfes Kraut.
Ich umrundete das Haus, um zu gucken, wo sich die Eingangstür befand. Auch sie schloss nicht dicht, auch hier gab es gelbe Streifen Licht.
Ich war unschlüssig, ich wusste nicht, wie ich vorgehen sollte. Nach Wilma Bruns zu urteilen, war Albert Tenhoven nicht ganz unkompliziert. Es konnte also geschehen, dass er die falschen Schlüsse zog und irgendeine Waffe zückte. Das Risiko musste ich allerdings eingehen.
Ich klopfte an die Tür. »Tenhoven? Kann ich Sie sprechen?«
Keine Antwort.
Ich wiederholte: »Herr Tenhoven, mein Name ist Siggi Baumeister. Ich bin Journalist. Ich weiß genau, dass Sie da drin sind. Kann ich Sie ...«
Etwas traf mich an der linken Kopfseite, dann registrierte ich einen heftigen Schlag in meine Kniekehlen. Jemand grunzte wie ein Schwein. Als ich nach vorn an die Holzwand des Bienenhauses geschmettert wurde, wollte ich so etwas wie ›nein‹ sagen. Aber das schaffte ich nicht mehr. Ich spürte, dass ich fiel, doch ich brachte die Arme nicht mehr vor mein Gesicht.
Fünftes Kapitel
Als ich wach wurde, hatte ich nicht eine Sekunde Schwierigkeiten, mich zurechtzufinden. Ich lag neben der Tür zu dem
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