Eifel-Träume
Das heißt aber nicht, dass dieser Mann der Täter ist.«
»Wie bitte?«, fragte ich verblüfft.
Er wiegte seinen klugen Kopf hin und her. »Ja. Es ist doch auch möglich, dass zwei Menschen hier waren. Von dem einen stammt das Sperma, der andere tötete sie.«
»Lieber Himmel!«, sagte ich andächtig. »Aber das Sperma könnte doch trotzdem helfen, oder nicht? Ist doch möglich, dass in der Zentralregistratur des Bundeskriminalamtes die DNA schon registriert ist. Oder sehe ich das falsch?«
»Das siehst du richtig. Nein, aber der Mann, der hier seinen Samen abgegeben hat, ist beim BKA noch nicht bekannt. Wenn du so willst, dieser Täter ist neu.«
»Nochmal zum Tatverlauf – hast du nicht wenigstens schon eine Idee, ob es eine geplante Tat oder eine Tat im Affekt war? Oder vielleicht sogar ein Unfall?«
»Das zu beantworten ist unmöglich. Vielleicht morgen, vielleicht übermorgen.«
Noch etwas wollte ich wissen: »Ist dieses kleine Mädchen denn penetriert worden? Gab es Geschlechtsverkehr?«
»Die Antwort lautet eindeutig Nein. Der Täter ist nicht in sie eingedrungen. Ich mache dich aber darauf aufmerksam, dass es sich trotzdem um Missbrauch handeln kann. Missbrauch ist auch gegeben, wenn ein Täter sich über das Opfer stellt und seinen Samen auf es entleert. Das verstehen die meisten Menschen nicht – und das ist wahrscheinlich auch gut so.«
»Zwei Fragen habe ich noch. Du hast eben von ›Landmarken‹ gesprochen, als du mir das Schwarz-Weiß-Foto gezeigt hast. Das habe ich nicht verstanden. Was soll das heißen?«
»Ganz einfach. Ich komme an diesen Ort und die Leiche ist dummerweise schon weg. Also muss ich versuchen, mithilfe der Fotos zu rekonstruieren, wo und wie diese Tote genau gelegen hat. Und dort auf dem Bild ist ein längerer dürrer Ast neben dem Gesicht zu sehen, dann ein Erdklumpen auf der anderen Seite und zwischen den Beinen ein Stück alte Baumrinde. Anhand dieser Details kann ich die Lage der Leiche genau umreißen. Und diese Position ist die Basis meiner Arbeit. Wenn ich weiß, zwischen welchen dieser Marken ihr Kopf lag, weiß ich ziemlich genau, wo ich nach Blutspritzern suchen muss. Denn Blut fliegt, wenn ein Schlag mit einem Stein Blut in Bewegung setzt. Das Blut trifft auf kleine Äste, alte Baumblätter, Erdklümpchen und so weiter und es entsteht ein Muster. Das Muster wiederum verrät mir, dass das Blut in einer Höhe von etwa zwanzig Zentimetern über der Erde den Körper verlassen hat. Spritzendes oder fliegendes Blut zieht ganz bestimmte flache, lang gezogene Spuren. Und jemand, der auf einen Schädel einschlägt, der sich in einer Höhe von etwa zwanzig Zentimetern über dem Boden befindet, kann nicht stehen. Er muss knien oder dicht vor dem Opfer in einer etwas unglücklichen Haltung sitzen.«
»Dann die zweite Frage: Wie findest du Spermienspuren, die doch winzig sind, eigentlich nicht erkennbar?«
»Gute Frage. Wir wissen, es hat seit Donnerstag zweimal geregnet. Einmal ein Gewitter, beim zweiten Mal war es ein richtiger Landregen. Ich musste also dort suchen, wo diese massive Feuchtigkeit nicht hinkommen konnte. Zum Beispiel auf der Rückseite von altem Laub. Ich habe wohl fünftausend alte Blätter, Zweige, Erdklumpen umgedreht. Spuren, die auf Sperma hinweisen, sind als Verfärbung, Aufhellung oder leicht glänzend erkennbar. Natürlich sind die Spermien selbst nicht sichtbar. Aber ich streiche mit einem feuchten Wattetupfer über die Spur, also die verdächtige Stelle, und bringe sie dann auf einen Glas-Objekträger. Setze ich dann eine bestimmte Lösung hinzu, erscheinen die Spermienköpfe unter dem Mikroskop als rote Punkte. Du musst wissen, ich trage stets einen speziellen Koffer mit allen möglichen Glasphiolen und Lösungen mit mir rum.« Er lachte. »Und wenn ich fertig bin, sehe ich dann aus wie ein Erdferkel, stinke gewaltig und niemand lässt mich mehr in sein Auto einsteigen. Das heißt, nach der Arbeit erwartet mich die soziale Ausgrenzung.«
»Ich danke dir.«
»Zitiere mich nicht.«
»Bestimmt nicht. Wenn ich das richtig verstanden habe, führt das alles noch nicht zum Mörder.«
»Nein«, nickte er. »Dazu braucht es andere Fachleute, eine andere Sorte feiner Nasen.«
»Mach’s gut.« Ich hob leicht die Hand zum Abschied.
Wieder umrundete ich den Amor-Busch, setzte mich auf der anderen Seite ins Gras und starrte hinunter auf Annegrets Elternhaus. Das Bild wirkte sehr friedlich. Dieser scheinbar so logische, so einfache Gedanke, den ich
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