Eifel-Träume
gewesen. Die Mutter hat gelogen.«
Sie nahm ganz nebenbei den Geldschein und legte ihn in eine kleine Schublade eines nachgebauten Art-deco-Schränkchens, das neben ihr stand.
»Hatte ich also Recht«, murmelte sie ruhig. Sie hatte die Karten vor sich vergessen, ihre dicken Finger verschränkten sich ineinander. Sie sah mich ruhig an, schloss dann die Augen und erklärte: »Ich nehme an, dass diese Mutter die Frau ist, die um die Mittagszeit ihren Liebhaber im Stadtwald traf und mit ihm Geschlechtsverkehr hatte.«
»Von wem haben Sie das?«
»Von niemandem. Ich kann mithilfe der Karten menschliche Wege und menschliche Handlungen nachvollziehen. Ich wusste das schon am Freitag.«
Jetzt log sie so sicher wie das Amen in der Kirche, aber es war nicht klug, ihr das vorzuhalten. Aber allein die Tatsache, dass sie es wusste, war erstaunlich.
»Gibt es noch andere Zeugenaussagen, von denen berichtet worden ist, die Ihrer Meinung nach nicht der Wahrheit entsprechen?«
»Ja. Das Kind wohnte am Ende der Straße, die Am Blindert heißt. Das ist eine bogenförmige Straße, die rund vierhundert Meter durch ein reines Wohngebiet führt. In der Zeitung stand, dass niemand das Kind am Donnerstagmittag auf dem Weg nach Hause gesehen hat. Das stimmt so nicht.«
»Es gibt jemanden, der die Kleine gesehen hat?«
»Nein, die Sache verhält sich anders. Das Kind ist am Donnerstag auf dem Rückweg von der Schule überhaupt nicht durch diese Straße gegangen. Keinem Menschen, nicht einmal den sturen Kriminalbeamten, ist das aufgefallen: Ein Kind läuft um die Mittagszeit fast einen halben Kilometer an Häusern vorbei, die dicht an dicht stehen – und niemand will die Kleine gesehen haben. Das ist vollkommen unmöglich. Wenn sie die Straße Am Blindert entlanggelaufen ist, muss sie jemand gesehen haben. Wenn allerdings kein Zeuge dafür zu finden ist, hat sie diese Straße nicht benutzt.«
Gertrud Olschowski war eine gierige Frau und ohne Zweifel war sie hart, aber sie war nicht dumm und an dieser Stelle hatte sie Recht. War Annegrets Mutter eigentlich zu Hause gewesen, als die Kleine aus der Schule hätte kommen sollen?
»Schulkameraden haben ausgesagt, Annegret habe sich von ihnen an der Einmündung der Straße verabschiedet.«
»Das mag ja sein«, erwiderte die Wahrsagerin. »Aber das ändert doch nichts an der Tatsache, dass wir nicht wissen, was anschließend passiert ist, oder?«
»Wie kommen Sie auf schwarze Messen?«
»Das ist nicht schwer«, antwortete sie. »Immer schon haben intelligente Menschen einen Kult aus der Misshandlung, Vergewaltigung und Opferung kleiner Kinder gemacht. Sie wollen ihre persönliche Machtstellung festigen. Es sind die gebildeten Menschen, die auf derartige Perversitäten kommen und sie auch ausleben.«
»Beweise?«
»Meine astrologischen Kenntnisse und die Planetenkonstellation zu Anfang der Woche besagen, dass so etwas zu erwarten war. Die Karten haben mir verraten, dass eine Menschengruppe hinter dem Mord steckt und der Mörder beauftragt wurde. Vermutlich durch so etwas wie eine hochkonzentrierte Beauftragung in Trance. Nennen Sie es meinetwegen Hypnose.«
Ich wurde wütend und wusste gleichzeitig, dass ich nicht wütend werden durfte. Das, was mich aufregte, war der ständige Tanz auf des Messers Schneide, den Wahrsagerinnen vollführten. »Wissen Sie, etwas an Ihren Äußerungen ist wirklich schrecklich. Da arbeitet Ihr kluger Verstand und Sie sagen kluge Sachen. Und Sie müssten wissen, dass die meisten Vorwürfe, die schwarze Messen betreffen, nie bewiesen worden sind, das meiste sind reine Behauptungen. Und jetzt nehmen Sie plötzlich schwarze Messen in Hildenstein als gegeben an. Das passt Ihnen gut in den Kram, nicht wahr? Sie lassen sich diesen Unsinn auch noch bezahlen! Ein Mann hat sich das Leben genommen, wahrscheinlich weil behauptet wurde, er habe Kinder missbraucht – obwohl kein Mensch das beweisen kann. Nun kommen Sie mit Ihren Behauptungen über schwarze Messen. Liefern Sie Beweise und ich werde der Erste sein, der darüber schreibt. Wenn Sie keine haben, dann sind Sie einfach bodenlos leichtfertig! Machen Sie es gut.«
Ich stand auf und ging, ich konnte es in dem Haus nicht mehr aushalten.
Im Auto machte ich mir Vorwürfe, warum ich bisher nicht mit Annegrets Mutter gesprochen hatte, und begab mich sofort auf den Weg zu Annegrets Elternhaus. Natürlich fand ich aber auch so etwas wie eine Entschuldigung für mich: Wann hätte ich ein solches Gespräch führen
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