Eifel-Träume
entsteht eine Pampe, die man mit Cayennepfeffer scharf würzt. Parallel zu diesem Vorgang zwei harte Eier kochen und dann etwa zwanzig dünne Scheiben Knoblauchwurst in die Bohnenpampe schneiden. Gut unterrühren. Das Ganze kommt kochend heiß auf einen Teller und man tut sich einen großen Gefallen, wenn man sich dazu einen Becher starken Kaffee gönnt. – Ich mache es also genauso, wie wir es alle in den zahllosen Western in unserer Kindheit gelesen haben. Ich gebe zu, dass der Darm möglicherweise etwas gereizt reagieren könnte, man sollte dem aber keine allzu große Bedeutung beimessen.
Nachdem ich gegessen hatte, rief ich die Darscheids an. Der Vater war am Apparat.
»Siggi schon wieder. Ich würde euch beide gern noch einmal sprechen. Geht das?«
»Ja, warum nicht? Wann und wo?«
»Am liebsten sofort. Entweder bei mir oder bei euch.«
Er zögerte keine Sekunde: »Wir kommen zu dir. Bis gleich.«
Ich machte mir keine Gedanken, ich hatte keinen Plan. Aber meine Überzeugung war gewachsen, dass ich auf die Eltern keine Rücksicht mehr nehmen sollte. Inzwischen war es mir ein Bedürfnis herauszufinden, wer Annegret erschlagen hatte – und das hatte mit meinem Beruf wenig zu tun. Mir ging es wie vielen Reportern im Krieg, die allzu leichtfertig glauben, sie seien einfach nur Beobachter. Bis sie feststellen müssen, dass sie Teil des Krieges sind. Ich war Teil dieses Geschehens und darüber hinaus hatte ich selbst plötzlich eine Tochter.
Ich begann zu begreifen, wie Polizeibeamte sich fühlen mochten, wenn sie vor einem ermordeten Kind standen. Da gibt es den fassungslosen, ja hassvollen Ausbruch: »Was sind das für Menschen? Wie kann man ein solches Würmchen töten?« Da gibt es die zitternde Wut, die den Beamten die Sprache raubt, sie in die Gefahr bringt, dass sich tobende, körperliche Gewalt ihrer bemächtigt, dass sie jegliche Kontrolle verlieren.
Wolfgang Menzel, polizeiliches Urgestein, sagte in so einem Zusammenhang mal: »Wir waren nach dem Anblick des toten Kindes so aufgewühlt und fertig, dass es uns nicht gelang, eine Zigarette anzuzünden. Und ich träume davon noch heute, fast zwanzig Jahre später.«
Mendig im Mayener Land, im Jahre 1986. Ein kleines Mädchen der betulichen und wohlbürgerlichen Gemeinde verschwindet. Das Mädchen ist drei Jahre alt, ein Wonneproppen, wie die Nachbarn sagen.
Die Polizei fährt für die Fahndung alles auf, was sie hat, das Kind bleibt verschwunden. Bei den Eltern der Kleinen ruft jemand an und verlangt Lösegeld. Eine Sonderkommission befiehlt: »Der Kidnapper ist in jedem Fall hinzuhalten.«
Die Polizei gräbt die Gemeinde buchstäblich um, durchsucht jedes Haus, jeden Dachboden, jeden Keller, jede Garage, jeden Garten. Und sie findet nichts. Erneute Anrufe des Kidnappers, erneutes Hinhalten. Und immer wieder erneutes Suchen.
Nach vielen Wochen sagen zwei Kriminalbeamte seufzend: »Lass uns von vorne anfangen!« Das bedeutet, dass sie bei den unmittelbaren Nachbarn des Mädchens schellen und freundlich um Einlass bitten. »Wo fangen wir an?« – »Na, ja, im Keller, wie immer.«
Eine Hausfrau macht ihnen auf. Eine Frau Mitte vierzig, verwitwet, zusammenlebend mit ihrem Sohn, einem Handwerksgesellen. Sie geht vor den beiden Beamten her und öffnet die Tür zum Keller. Eigentlich ist es unmöglich, diese Treppe ohne Sturz zu bewältigen, denn auf den Stufen stehen tausend Dinge: Schuhputzzeug, Farbeimer, Kartoffelkörbe, Behälter mit Handwerkszeug, alte Eimer, Schrubber, Besen. Die Dreiergruppe tastet sich die Stufen hinunter.
Unten bleibt die Frau vor einer etwas dunkleren Ecke stehen. Ihr Gesicht verzieht sich nicht, sie wirkt vollkommen unbeteiligt.
Etwa kniehoch liegen da alte Pappkartons. Und unter einem der Kartons ragt ein Beinchen heraus. »Sah aus wie das Bein einer großen Puppe.« Es ist keine Puppe, es ist das verschwundene Mädchen.
Es folgen hysterisch aufgeregte Minuten, die Frau wird aus dem Haus und auf die Wache gebracht. Zu einem ersten Verhör.
Die nach eigenen Angaben vollkommen zittrigen Beamten hatten eine schwere Aufgabe vor sich. »Draußen stand halb Mendig. Wenn wir die Frau auch nur eine Sekunde aus den Augen gelassen hätten, wäre sie tot gewesen. Sie hätten sie erschlagen.« Sie schafften es irgendwie.
Damals war schon die große Zeit der Polizeipsychologen angebrochen und ein solcher wollte unbedingt beim ersten Verhör dabei sein. Die Beamten wollten im Wesentlichen herausfinden, was die Frau mit der Tat zu
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