Eifel-Wasser
Fünfzehnjährige. Das Mädchen wird vierundzwanzig Stunden lang von rund zweihundert Soldaten missbraucht. Ein traumatisches Erlebnis, wie es schlimmer kaum sein kann. Das Gehirn des Mädchens schaltet sich während des Vorganges gewissermaßen selbst aus. Das Mädchen verdrängt diese vierundzwanzig Stunden so perfekt, dass nicht einmal seine Albträume einen Rückschluss auf dieses Verbrechen zulassen. Es gibt nur Erinnerungsfetzen. Und die tauchen erst auf, wenn das Mädchen etwas ganz Bestimmtes riecht. Männlichen Samen zum Beispiel. Das Mädchen erleidet Panik, Angstzustände, kommt mit seiner Umwelt nicht mehr zurecht, kann zärtliche Gefühle nicht empfinden, aber auch nicht annehmen, scheint sozial vollkommen deformiert. Das heißt, das Mädchen steht vor einer Zukunft, die im Wesentlichen von krankhaften Zuständen seiner Seele belastet sein wird.«
»Genau so etwas befürchte ich in unserem Fall.« Rodenstock nickte heftig. »Menschen, denen so etwas widerfahren ist, stehen ständig vor der Gefahr des totalen Zusammenbruchs. Aber es kann auch zu massiven Drogen- und Alkoholproblemen führen, weil der Patient in jedem Fall zunächst einmal erlebt, dass Drogen und Alkohol mindestens zeitweise helfen können, diese verrückten, unbegreiflichen und für ihn selbst ja auch nicht erklärbaren Zustände zu unterdrücken. So ein Verdacht, wie wir ihn hegen, ist der Albtraum jeder Mordkommission, weil es das Ende jeder Aufklärungsarbeit bedeutet, das allerletzte, endgültige Aus: Man kommt nicht an die Menschen ran, kann sie nicht angehen.« Er machte eine Pause und murmelte dann: »Ich würde euch bitten, mit Emma vorsichtig umzugehen. Sie läuft völlig neben der Spur.«
Als wir auf meinen Hof rollten, standen Emma und Cisco in der Tür, die Katzen schössen heran, um sich an unseren Beinen zu reiben.
»Na, mein Mädchen«, umarmte Emma Vera.
»Das ist irgendwie Scheiße«, sagte Vera heftig. »Ich kann gar nicht glauben, dass wir es im Grunde mit einer so trivialen Tragödie zu tun haben.«
»Ja, ja«, nickte die kluge Emma. »Die Trivialität von Verbrechen ist oft enttäuschend. Baumeister, mein Lieber. Bist du auch melancholisch?« Sie umarmte auch mich.
»Jede Menge«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Aber ich habe gehört, es gibt Spaghetti der besonderen Sorte?«
»Ja. Und nun kommt rein.«
Es wurde ein kurzes Essen, aber ein gutes.
Emma berichtete scheinbar aufgeräumt von einer gewissen Tante Amalie, die sich bei ihr gemeldet hatte mit der Frage, ob Emma zurzeit einen reichen Ehemann habe, der möglicherweise ein Interesse daran haben könnte, ein altes amerikanisches Bauernhaus im Shenandoah Valley nahe Washington D. C. zu übernehmen, zu restaurieren und es so für den Clan zu erhalten.
»Tante Amalie«, erklärte Emma, »ist aus einer Seitenlinie, in der mein Cousin Albert den Oberboss spielt.«
»Wie viele Tanten hast du eigentlich?«, fragte Rodenstock.
»Etwa zwanzig. Natürlich sind das nicht alles echte Tanten, ich muss sie nur so nennen. Und von Zeit zu Zeit spülen sie mir Häuser oder alten Schmuck oder etwas in der Art in meine Haushaltskasse. Einer der Gründe, ihr Lieben, weshalb alte jüdische Clans nicht untergehen, ist ihr oberster Grundsatz: Selbst wenn du Emma von Herzen hasst, lass das Geld in der Familie!« Sie lachte, aber das Lachen kam nicht von Herzen.
»Und was machst du jetzt mit dem alten Bauernhaus?«, fragte ich.
»Na ja, jetzt muss ich jemanden im Clan finden, der es kauft. Ich denke da an die alte Tante Albertine, die mir neulich am Telefon sagte, sie würde gern Florida verlassen, weil es dort zu heiß ist, zu viele Mücken gibt, zu viele Touristen und zu viele Klimaanlagen, die dauernd kaputt sind.« Emma wurde ernst. »Wisst ihr, das sind ausnahmslos alte Leutchen, deren Eltern und Großeltern ursprünglich in Europa lebten und hier sehr glücklich waren, bis ein Mensch namens Hitler daherkam und die Juden ausrottete, weil er Angst vor ihnen hatte. Verdammt, entschuldigt bitte, das wollte ich nicht.« Sie senkte den Kopf.
»Du darfst das«, murmelte Rodenstock. »Und du hast Recht. Wir können uns das Haus in Amerika ja mal ansehen.«
Sie bedachte das und nickte. »Warum nicht? Wir laden Vera und Baumeister ein und fliegen zu viert dorthin.« Fast flüsternd fügte sie hinzu: »Rodenstock, ich will das Haus in Heyroth doch. Im Talmud steht irgendwo, dass du überall auf die Spuren deiner Feinde triffst. Das Haus, in dem Klaus Barbie in Heyroth seine
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