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Eifel-Wasser

Eifel-Wasser

Titel: Eifel-Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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Kindheit verbrachte, gibt es nicht mehr. Ich habe mich erkundigt.«
    Rodenstock räusperte sich. »Das ist gut«, sagte er rau.
    »Jetzt habe ich endlich eine Zukunft«, sagte Vera lächelnd. »In Heyroth steht mein zweiter Weihnachtsbaum.«
    Wir lachten befreit und Cisco sprang vor lauter Begeisterung auf den Küchentisch und fegte dabei eine Schüssel mit Knoblauchöl auf die Fliesen. Alles wurde noch lustiger, weil Cisco aufgeregt und gut gelaunt durch das Knoblauchöl lief und es über den ganzen Boden verteilte. Nach dem Motto ›Immer auf die Kleinen!‹ wurde ich ausersehen, die Schweinerei zu beseitigen. Ich brauchte eine gute halbe Stunde.
    Vera lag im Dunkeln neben mir und sagte: »Irgendwie beneide ich Emma um diese riesige Familie. Ich habe so etwas nicht. Hast du so etwas?«
    »Nein. Aber du darfst nicht vergessen, dass diese riesige Familie mehr als drei Viertel ihrer Mitglieder verloren hat. Sie haben furchtbar dafür bezahlen müssen, Juden zu sein. Emma hat einmal gesagt, dass sie bestimmte Jahre nicht erwähnen darf, das ist ein Tabu, ein Schatten, der niemals zu bestehen aufhört. Eine Medaille hat immer zwei Seiten. Geht es dir etwas besser?«
    »Mir geht es immer besser, wenn ich lachen kann.« »Sehr schön «, sagte ich. »Kannst du bitte zu mir rutschen, damit ich zu Hause bin?«
    Als Rodenstock vorsichtig meine Schulter berührte, war draußen heller Tag, aber es war erst fünf Uhr in der Früh. Er bedeutete mir aufzustehen und wartete im Wohnzimmer.
    »Folgendes: Maria Breidenbach hat mich angerufen. Heiner ist seit gestern Mittag spurlos verschwunden. Wahrscheinlich mit seinem Fahrrad unterwegs. Sie hat mich unterrichtet, weil sie meint, die Mordkommission würde sie für verrückt halten, wenn sie ihren erwachsenen Sohn als vermisst meldet. Ich habe selbstverständlich gefragt, ob etwas Außergewöhnliches vorgefallen ist. Sie sagt, nein. Die kleine Julia hat angeblich auch keine Ahnung, wo ihr Bruder sein könnte. Was hältst du davon?«
    »Erstens solltest du sofort Kischkewitz informieren. Und zweitens sollten wir sicherheitshalber das tun, was du längst beschlossen hast: in den Kerpener Steinbruch fahren.«
    »Gut«, nickte er. »Aber wir wecken die Frauen nicht. Emma braucht ihren Schlaf.«
    Wir fuhren ein paar Minuten später, schwiegen uns an und waren voll von der beängstigenden Erwartung, Heiner Breidenbach zu finden.
    Diesmal nahm ich einen anderen Weg als sonst und kann noch heute nicht sagen, warum ich das tat. Ich fuhr an der Südseite der alten Strumpffabrik einen ausgefahrenen Feldweg zwischen Wald und Wiesen hoch und hielt vor dem schmalen, schluchtartigen Eingang zur untersten Sohle des Steinbruchs an.
    »Was glaubst du, wo ist er, wenn er hier ist?«
    »Keine Ahnung«, antwortete ich. »Wir sollten leise sein. Vielleicht haut er ab, wenn er uns hört.«
    Vor uns flogen zwei Eichelhäher um eine lang geschossene Weide herum und balgten sich. Rote Wegschnecken hatten ihre silberne Spur gezogen, das Summen der Erdwespen wirkte laut und aufdringlich, ein Kohlweißling taumelte um die lilafarbene Blüte einer Ackerwitwenblume, kurzstielige rosafarbige Malven standen im Kalkrasen, dazu Glockenblumen von zartem Blau. Ich fragte mich, ob dieser Platz jemals wieder so unschuldig wie vor Breidenbachs Tod sein konnte. Wahrscheinlich nicht, denn jeder Tod wirft einen langen Schatten.
    Wir gingen langsam den geschwungenen Weg hinauf zur zweiten Sohle, doch Heiner Breidenbach fanden wir nicht und nirgendwo stand sein Fahrrad.
    »Ein Bilderbuchmorgen«, murmelte Rodenstock. »Wo könnte Heiner sonst sein?«
    »Keine Ahnung. Wir sind bisher nicht tief in ihn hineingekrochen. Bis jetzt wissen wir nur, dass er gelitten hat wie ein Tier.«
    Er nickte. »Diese Kinder schienen die Leidtragenden einer großen Affäre zu sein, jetzt sind sie plötzlich mögliche Täter.« Er schnaufte unwillig.
    Wir blieben vor der Schautafel stehen, die die Eifel-Touristik hier aufgestellt hatte, um den Wanderer zu belehren, dass hier die Uferriffe des Urmeeres verlaufen waren, in der schräg liegenden Schichtung unterhalb der Steilwand wunderbar zu sehen, dreihundert Millionen Jahre her.
    »Was kam danach?«, fragte Rodenstock und deutete auf die Tafel.
    »Die Wüste«, sagte ich. »Als das Meer sich zurückzog, das Wasser verschwand, herrschten hier extrem trockene und heiße Bedingungen. Die ganze Eifel war eine lebensferne, wilde rote Wüste. Später gerieten diese roten Sandmassen unter den Druck der

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