Eifelheiler (German Edition)
erneut. Was für ein irres Gefühl.
Plötzlich zog Barbara Wolf an den Zügeln, richtete sich auf und ließ
sich nach hinten in den Sattel fallen. Nach wenigen Schritten stoppte ihr
Schimmel.
Überrascht von dem Tempowechsel, wäre Welscher fast an ihr
vorbeigaloppiert. Nur mit Mühe schaffte er es, Clarissa durchzuparieren und
neben dem Schimmel zum Stehen zu bringen. Er blickte in Barbara Wolfs Gesicht,
sah ihre Tränen, ihre Verzweiflung. Wie er und die Tiere keuchte sie
angestrengt.
»Sie sind wahnsinnig«, rief sie entgeistert. »Sie hätten sich das
Genick brechen können.«
Er nahm ihr die Zügel aus der Hand. »Ja, damit könnten Sie recht
haben«, gab er zu und machte sich mit ihr im Schlepptau auf den Weg zurück zum
Hof.
***
Barbara Wolf zitterte am ganzen Körper und starrte stumm aus dem
Autofenster. Welscher saß neben ihr und ließ sie keinen Moment aus den Augen.
Sein Fiesta hatte wieder einmal gestreikt, und so war er kurz
entschlossen bei den Kollegen eingestiegen. Sie rollten über die A 60 an
Bickendorf vorbei. Fischbach folgte ihnen auf seiner Harley.
Welscher konnte seine Neugierde nicht mehr zügeln. »Wie konnte es
dazu kommen?«
Keine Antwort.
»Sie müssen ihre Mutter gehasst haben.«
Ihr Augenlid zuckte.
»Es kommt doch sowieso raus«, brummte er. Er hatte eine Idee, wie er
möglicherweise ihre Mauer durchdringen konnte. »Ihr Sohn ist allein zu Hause.«
Ihr Kopf ruckte herum. Ihre Augen weiteten sich.
»Ich kann da vielleicht etwas regeln«, bot er an.
Sie zögerte, schien mit sich einen inneren Kampf auszufechten.
»Entscheiden Sie später, Frau Wolf. Ich erzähle Ihnen, wie ich mir
das Ganze denke. Es dauert ja sowieso eine Weile, bis wir in Euskirchen
ankommen.«
Schweigend starrte sie zum Fenster hinaus.
Der fahrende Kollege schaute neugierig in den Rückspiegel. Sein
Schnäuzer tanzte bei jeder Bodenwelle lustig an den Enden. Der auf dem
Beifahrersitz drehte sich leicht, damit er besser mithören konnte.
»Die Krankheit Ihres Sohnes ist der Schlüssel zu allem. Sie und Ihr
Mann lieben ihn abgöttisch. Sie würden alles tun, um ihn von seinem Leiden zu
befreien. Doch erstklassige Privatbehandlungen kosten eine Stange Geld, zu viel
für einen kleinen Handwerksbetrieb. Ihr Mann hätte vierundzwanzig Stunden am
Tag durcharbeiten können, trotzdem hätte es niemals gereicht, um alle
Behandlungen bezahlen zu können. So kamen Sie auf die Idee, Ihre Mutter um
Hilfe zu bitten. Dass sie irgendwo viel Geld versteckt hatte, war in der
Familie ja bekannt. Vermutlich haben Sie sich vor Ihrer Mutter förmlich in den
Staub geworfen, sie angebettelt, immer und immer wieder, ihr Herz jedoch nicht
erweichen können. Selbst der Einsatz Ihres Mannes fruchtete nicht.« Welscher
lachte humorlos. »Der arme Kerl. Renoviert das ganze Haus, und seine
Schwiegermutter lässt ihn am ausgestreckten Arm verhungern. Bitter.«
Tränen rollten über Barbara Wolfs Wangen und bewiesen Welscher, dass
er richtiglag. »Aber plötzlich erscheint ein Licht am Ende des Tunnels. Ihr
Mann findet bei der Renovierung den Geheimgang. Und nicht nur das. Ein Erdrutsch
legt sogar fast zeitgleich das andere Ende frei. Was für ein glücklicher
Zufall. So konnten sie ab sofort gemütlich, na ja, einigermaßen zumindest, bis
ins Wohnzimmer Ihrer Mutter laufen. Rasch reifte der Plan, sich ein wenig bei
ihr umzusehen und nach dem Geld zu suchen. Vermutlich kam bei Ihnen nicht
einmal ein schlechtes Gewissen auf, da sie es als kleinen Vorschuss aufs Erbe
betrachteten. Ihr Mann war wohl derjenige, der sich überwiegend im Haus
umschaute. Ist für eine Frau ja bestimmt nicht angenehm, durch den Gang zu
gehen.«
Sie senkte den Kopf. Ihr Zittern hatte nachgelassen.
»So weit, so gut«, sagte Welscher. »Nur fanden Sie das Geld nicht.
Langsam wurde die Sache brenzlig, da Ihre Mutter das Herumspuken bemerkt hatte.
Wie lange wäre es noch gut gegangen? Wie hätten Sie und Ihr Mann dagestanden,
wenn Sie erwischt worden wären? Eine Tochter und ein Schwiegersohn, die die
eigene Mutter beklauen wollen? Ein Fressen für die Boulevardpresse. Sie hätten
sich nicht mehr aus dem Haus getraut.«
Der Kollege auf dem Beifahrersitz brummte zustimmend.
»Und dann die Chance. Ihre Mutter ein ganzes Wochenende außer Haus,
im Allgäuurlaub bei einer Freundin. Sturmfreie Bude in Kronenburg.«
Er hielt inne, um Barbara Wolf die Gelegenheit zu geben, selbst zu
Wort zu kommen. Im Wagen herrschte eine gespannte Stille. Nur der Motor
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