Eifelheiler (German Edition)
Überholvorgang ohnehin
ein Selbstmordversuch. Er öffnete das Fenster ein Stück. Der Fahrtwind wirbelte
in seinen Haaren. Er hatte sich für die B 51 über Bad Münstereifel und
Kreuzweingarten entschieden. Autobahnfahrten mied er inzwischen wie die Pest.
Vor zwei Monaten war er mit einer Panne auf der A 1 liegen geblieben und
hatte drei Stunden hinter der Leitplanke auf den Abschleppdienst warten müssen.
Währenddessen waren die Vierzigtonner so dicht an seinem Fiesta
vorbeigedonnert, dass die Karosserie im Windzug jedes Mal bedrohlich hin- und
hergewippt war. Einem Wunder gleich, hing der Seitenspiegel immer noch an der
Tür.
Er schaltete Radio Euskirchen an. Der Lautsprecher in der
Beifahrertür plärrte los, links blieb es stumm. Stereo konnte das Soundsystem
länger schon nicht mehr wiedergeben.
»Schrottkarre«, hatte sein Verflossener den Fiesta immer betitelt.
»Kauf dir mal was Anständiges.« Dabei fuhr er selbst nur einen Golf, für
Welscher der Inbegriff an Langeweile und Tristesse. Versonnen strich er über
das Lenkrad. In diesem Auto hatte er sein erstes Mal gehabt, kurz nach seinem
Coming-out. Ein One-Night-Stand nur, aber nie wieder hatte er sich so frei und
glücklich gefühlt wie in den zwei Stunden auf der umgeklappten Rückbank. »Erst
der TÜV wird uns trennen«, murmelte er.
Aus dem Lautsprecher trällerte Mikas »We Are Golden«. Welscher
summte mit. Seine Gedanken kreisten weiter und hielten bei Veronika Kramann.
Wie kamen die Ermittlungen voran? Bisher war keine Tatwaffe sichergestellt
worden, einen konkreten Verdacht gab es noch nicht, geschweige denn einen
Täter. Auf den ersten Blick ein mageres Ergebnis. Presse und Vorgesetzte wurden
schnell ungeduldig, wenn es sich um so brutale Morde handelte. Aber es waren
nicht einmal zwei Tage vergangen, seit sie Veronika Kramann gefunden hatten.
Sie mussten sich Stück für Stück in ihr Leben einarbeiten, das soziale Umfeld
kennenlernen, Angehörige, Freunde und Nachbarn. Das alles kostete sehr viel
Zeit, war aber dringend notwendig, um dem Täter auf die Spur zu kommen. Selten
war der Mörder der große Unbekannte, der nie eine Beziehung zum Opfer gehabt
hatte.
Er passierte das Gasthaus »Anno 1826«, bog links ab in den Neuer
Weg, überquerte die wild dahinrauschende Kyll und lenkte den Wagen nach rechts
in die Seeuferstraße. Langsam rollte er weiter und parkte den Wagen gegenüber
dem letzten Haus in der Straße, direkt hinter Fischbachs Harley. Sein Kollege
schien schon eine Weile vor Ort zu sein. Der Müsliriegel, den er in der Hand
hielt, war fast aufgegessen.
»Sieht eigentlich ganz normal aus«, meinte Fischbach kauend, als
Welscher ausstieg und neben ihn trat.
Spöttisch verzog Welscher die Mundwinkel und sah zum Haus. »Was hast
du denn erwartet? Ein Knusperhäuschen?«
»Wäre zumindest originell.« Fischbach knüllte das Verpackungspapier
zusammen und steckte es in seine Hosentasche. »Dann mal los.«
Sie überquerten die Straße. Noch bevor sie die Haustür erreicht
hatten, wurde sie aufgerissen, und ein Golden Retriever stürmte auf sie zu.
Welscher blieb wie angewurzelt stehen. Zwar wirkte der Hund friedfertig, aber
man wusste ja nie.
»Ist ein ganz Lieber«, rief jemand mit hoher Stimme aus dem Inneren
des Hauses.
»Weiß der das auch?«, fragte Welscher und beäugte den Hund
argwöhnisch, der aufgeregt an Fischbachs Hosenbeinen schnüffelte.
Gutmütig klopfte Fischbach dem Hund die Seite. »Guter Kerl, brav.«
Eine Frau trat aus dem Dunkel des Flurs.
Welscher staunte. Sylvia Neuroth machte der Bezeichnung weiße Hexe
alle Ehre. Jedes Klischee wurde bedient. Ein weißes Kleid, das unten fransig
ausfiel, wallte um ihren hageren Körper, ein spitzer Hut saß kokett auf den
blonden Haaren. Klimpernder Goldschmuck an allen Extremitäten und ein langer
Stab in ihren Händen komplettierten das Bild.
»Ist eine Hündin. Kimama heißt sie.«
Welscher entspannte sich und strich dem Tier vorsichtig über den
Rücken. Das Fell fühlte sich samtweich an. »Kimama?«
»Alter indianischer Name«, klärte sie ihn auf. »Es bedeutet
Schmetterling.« Sie pfiff durch die Zähne. Augenblicklich ließ die Hündin von
ihnen ab und lief ins Haus zurück.
»Gut erzogen«, lobte Fischbach und zeigte seine Marke. »Kripo
Euskirchen. Meine Kollegin Bianca Willms hatte angerufen und uns angemeldet.«
»Ich habe Sie bereits erwartet. Kommen Sie.« Sie winkte sie mit dem
Stab herein und ging voraus. Fischbach fackelte nicht lange und
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