Eifelteufel - Kriminalroman
Aussteiger, Andersdenkende, Verzweifelte und Hoffnungslose zu sein. Inzwischen tummelten sich zweiundzwanzig Erwachsene in den Gemäuern des Bauernhauses. Sabine kam sich vor wie in einem Karnickelstall.
Wenn sie nicht über ihren Schulbüchern saÃ, suchte sie sich eine ruhige Ecke in der Scheune unweit des Haupthauses. Das Plätschern des Baches, der einige Meter entfernt hinter der Rückwand entlangfloss, begleitete sie dann in die Welten, die Grass, Ende, Hesse und Böll für sie erschaffen hatten. Björk, der Gründer der Kommune, besaà eine riesige Bibliothek, die für jeden zugänglich, aber weitestgehend unbeachtet in der Werkstatt in Pappkartons bereitstand. Daraus bediente sie sich.
Auch jetzt drückte Sabine voller Vorfreude das Scheunentor auf und schlüpfte ins Innere. Das Buch in ihrer Hand versprach viel. Sie hatte es wegen des Covers ausgewählt: eine schöne Frau, die in einem hochgeschlossenen Kleid auf einem Diwan saà und freundlich, wenn auch eine Spur melancholisch in die Welt schaute. Das Bild hatte Sabine fasziniert. Offensichtlich war das eine starke Frau, die ohne Angst durchs Leben ging. Ein Vorbild. Auf das Lesen des Klappentextes hatte Sabine verzichtet und stattdessen sofort zugegriffen.
Sie entschied sich für den Leiterwagen in der Mitte der Tenne und kletterte hinauf. Staub wirbelte hoch und schwebte im Licht der durch die Bretterritzen einfallenden Sonnenstrahlen. Eine Decke lag von ihren vergangenen Besuchen bereit. Damit umwickelte sie eins der Rundhölzer, setzte sich und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Für einen Moment schalt sie sich selbst, nicht an das Sofakissen gedacht zu haben. Es lag oben auf dem Heuboden neben dem Loch in der Wand, ihrer gestrigen Lesestätte. Aber jetzt wollte sie nicht noch mal aufstehen, um es zu holen. Sie schlug die erste Seite auf, ihr Herz klopfte. Eine neue Geschichte lag vor ihr, ein neues Abenteuer wartete auf sie.
»Gefällt dir das Buch?«
Sabine zuckte zusammen. Sie fühlte sich ertappt und spürte, wie sich ihre Wangen röteten. Eine Hitzewelle raste durch ihren Körper. Sie war so sehr in der Lektüre versunken gewesen, dass sie Ole gar nicht hatte reinkommen hören. Er lehnte lässig an einen der Balken, die das Dach stützten, und drehte sich eine Zigarette. Das T-Shirt spannte über seiner Brust und zeichnete jeden Muskel nach.
Hastig klappte Sabine das Buch zu. Ihr Hals fühlte sich trocken und rau an. »Ist okay«, sagte sie. In Wirklichkeit hatte sie sich gar nicht losreiÃen können. Die ersten Seiten hatten sie erstaunt, war es doch ganz was anderes, als sie erwartet hatte. Seltsamerweise hatte die Geschichte sie aber nicht abgestoÃen, sondern in ihren Bann gezogen. Das wohlige Kribbeln zwischen ihren Schenkeln klang immer noch nach. Was war nur mit ihr los?
Amüsiert zog Ole eine Augenbraue nach oben. »Nur okay?«
»Ja«, bestätigte sie brüsk. »Okay, mehr nicht.« Sie mochte Ole nicht sonderlich. Zwar war er freundlich zu ihr, aber sein intensives und anhaltendes Interesse an ihrer Mutter missfiel ihr. Er war es gewesen, den sie damals kurz nach dem Einzug mit Viola im Bett erwischt hatte.
»âºJosefine Mutzenbacherâ¹ ist ein Klassiker.« Er grinste und zündete sich die Zigarette an. »Ein Meilenstein der erotischen Literatur. Ein wenig mehr Hochachtung wäre angebracht, denke ich.«
»Meilenstein?« Abschätzig betrachtete sie das Cover. Damit hatte sie nicht gerechnet. »Die Geschichte eines jungen Mädchens, das zur â¦Â« Sie brach ab. Das Wort Hure brannte in ihrer Kehle und wollte ihr nicht über die Lippen kommen. Zwar wusste sie seit geraumer Zeit, dass es Frauen gab, die sich Männern für Geld anboten. Ihre ehemalige Schulkameradin Birgit war eine sprudelnde Quelle obszöner Ausdrücke und Erklärungen gewesen. Doch das Wort auszusprechen, dazu fehlte ihr der Mut. Es hatte etwas Schmutziges.
Ole pflückte sich einen Tabakkrümel von der Zungenspitze. »Damals, bei der Erstveröffentlichung in Wien, war die Story der reinste Sprengstoff. Es war sehr mutig, so etwas in der prüden Gesellschaft des angehenden zwanzigsten Jahrhunderts zu veröffentlichen. Und obwohl wir inzwischen zwei Weltkriege und knapp siebzig Jahre weiter sind, gibt es noch immer Stimmen, die den Roman als Kinderpornografie verdammen.« Er drückte sich vom Balken ab
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