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Eifler Zorn

Eifler Zorn

Titel: Eifler Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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war ganz ruhig gewesen. Sie hatte ihnen die Tür geöffnet, sie wie
gute Freunde in Empfang genommen, die man zum Essen eingeladen hat oder zu
einer Bridgepartie. Sie hatte das Team der Bonner Mordkommission durch den Flur
ins Wohnzimmer geführt und war zur Seite getreten, um ihnen den Vortritt zu
lassen.
    »Sie versucht, uns glauben
zu machen, dass sie es im Affekt getan hat«, riss Sauerbier sie aus ihren
Überlegungen.
    »Was?«
    »Sie will uns verarschen.«
Sauerbier kam zum Tisch, setzte sich neben Judith und zwirbelte an einem Ende
seines Schnäuzers. Er strömte einen Duft nach altmodischem Rasierwasser aus, der
sie an etwas erinnerte, was sie nicht zuordnen konnte.
    »Ich weiß es ehrlich gesagt
nicht. Da sind sehr viele Aspekte, die wir berücksichtigen müssen.«
    »Mädchen, glaub einem alten
Mann wie mir. Sie tut nur so hilflos und überrascht.« Sauerbier griff nach der
Wasserflasche, setzte sie an und trank den letzten Rest in großen Schlucken
aus.
    »Overkill«, murmelte Judith,
mehr um ihre eigenen Gedanken zu sortieren, denn als Antwort auf Sauerbiers
Bemerkung. »Sie hat gesagt, sie sei wie in einem Rausch gewesen. Ich habe einen
Bericht darüber gelesen, dass solche Reaktionen vorkommen, dass …«
    »Ich halte ehrlich gesagt
nichts von dem neumodischen Psychokram«, unterbrach Sauerbier sie. »Sie hat es
geplant. Sie hat schon vorher darüber nachgedacht und dann die Gelegenheit
genutzt, als sie da war.«
    Judith erwiderte nichts
darauf. Horst Sauerbier stand kurz vor der Rente. Über vierzig Jahre
Polizeidienst, über vierzig Jahre Erfahrung, Fahndungserfolge sowie über
vierzig Jahre gemachte Fehler samt gezogener Lehren standen ihren drei Jahren
Ausbildung und dem halben Jahr gegenüber, das sie jetzt in Bonn arbeitete.
    Dabei trug ihre
»Sonderbehandlung«, wie Sauerbier es abschätzig nannte, nicht unbedingt zum
guten Klima zwischen ihnen beiden und einem guten Verhältnis zu den anderen
jungen Kollegen im Haus bei. Wäre alles nach Plan gelaufen, säße sie jetzt nicht
bei der Mordkommission, sondern hätte nach ihrem letzten Praktikum in der Eifel
noch mehrere Jahre beim Wach- und Wechseldienst und anschließenden Dienst in
der Hundertschaft vor sich. Nur dem Umstand, dass der Altersdurchschnitt der
Bonner Polizei bei über fünfzig Jahren lag und die Gewerkschaft der Polizei –
wie schließlich auch der Dienstherr – einen erhöhten Bedarf an jungen
Polizisten festgestellt hatte, hatte sie die umweglose Punktlandung zu
verdanken. Sie hätte nicht gedacht, dass ihr das vor der Ausbildung absolvierte
Studium, das sie schrecklich gefunden und so schnell, wie es ging, mit einem in
ihren Augen kaum erträglichen Notendurchschnitt abgeschlossen hatte, auf diese
Weise doch noch einmal nutzen würde. »Sonderfachwissen« nannte man ihre Kenntnisse
in Wirtschaftspsychologie bei der Polizei offiziell. Sie nannte sie Fiasko. Ihr
Traum von einer interessanten Stelle im Personalwesen war bald zerplatzt wie
ein zu groß aufgeblasener Luftballon. Die Erkenntnis, dass sie für diesen Job
ungeeignet war, hatte sie schon im ersten Praktikum ereilt. Die Realität einer
Personalabteilung innerhalb eines großen Versicherungsunternehmens mit nicht
nachvollziehbaren Kündigungen, Sachzwängen und menschlichen Tragödien hatte ihr
die Augen geöffnet. Sie wollte lieber auf der Seite stehen, die den Menschen
half. Das Studium als Konsequenz dessen einfach aufzugeben, kam für sie nicht
in Frage. Was sie angefangen hatte, wollte sie auch zu Ende bringen. Es war ihr
gelungen, auch wenn es letztendlich mehr Disziplin und Selbstüberwindung
gekostet hatte, als sie erwartet hatte. Immerhin ersparten ihr diese drei Jahre
Studium jetzt die drei Jahre in der Hundertschaft. Und wenn sie den Äußerungen
einiger Kollegen Glauben schenken konnte, war das kein schlechter Tausch. Bei
der Polizei fühlte sie sich richtig aufgehoben. Die festen Strukturen und
Dienstvorschriften gaben ihr Halt. Sie liebte es, Formulare auszufüllen und
Berichte zu schreiben, auch wenn sie das aus Angst vor Spott in Gegenwart ihrer
gleichaltrigen Kollegen nicht zugab.
    »Hörst du mir überhaupt zu,
Mädchen?« Sauerbier nahm kopfschüttelnd den Hörer des klingelnden Telefons ab
und knirschte ein »Sauerbier« in die Sprechmuschel. Am anderen Ende der Leitung
folgte offenbar ein längerer Monolog. Sauerbier lauschte, zwirbelte seinen
beachtlichen Schnäuzer und legte die Stirn in Falten. »Unser erweiterter
Bereitschaftspool ist derzeit

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